Die Erklärungen des Erwachten über das Wesen der der fünf "Aneignungen" (Pali: upadana-khandha), bilden einen Hauptkern seiner ganzen Aussagen.

 

Die fünf „Aneignungen“ bzw.  fünf „Zusammenhäufungen“ sind es nämlich, durch welche der Eindruck eines Ich in Auseinandersetzung mit der Umwelt entsteht und besteht. Alles, was in der Menschenwelt oder in irgendeiner anderen Daseinsform erfahren werden kann, beruht immer, wie der Erwachte es aufzeigt, auf diesen fünf Zusammenhäufungen.

Man hörte früher manchmal sagen, der Buddhismus sei pessimistisch, weil er nur das Leiden betrachte, in Wirklichkeit ist die Lehre des Erwachten die positivste, die realistischste und fruchtbarste Lehre, die es überhaupt gibt.

Warum? Der verständige Mensch weiß, dass der Feind, der nicht als Feind erkannt worden ist, auch nie besiegt werden kann, dass also zuallererst der Feind als Feind erkannt werden muss. Nun ist aber unser aller Feind das Leiden, wir möchten alle dem Leiden entrinnen, denn es schmerzt. Wir wenden alle Klugheit an, dem Leiden zu entgehen, aber wir sehen uns doch immer wieder unversehens in Leiden geraten, wir kommen von einem Leiden ins andere. Wie kommt das? Der Erwachte antwortet dem Sinne nach: Es liegt daran, weil ihr manche Dinge, die vordergründig eine Art von Befriedigung auslösen, aber dann unweigerlich in Leiden hineinrühren, nicht als solche erkennt. Ihr haltet viele Dinge für freudig, die nur auf ihrer Vorderseite freudig sind. Indem ihr heute die verlockende Vorderseite nehmt, habt ihr morgen die schmerzliche Rückseite, denn Vorder- und Rückseite sind untrennbar. Wenn ihr wirklich erkennen würdet, was alles Leiden ist und was alles zum Leiden hinführt, dann erst könntet ihr endgültig dem Leiden entgehen. Darum ist die Kenntnis der vier Heilswahrheiten die erste Bedingung für die Überwindung des Leidens.

Die vier Heilswahrheiten sind, wie bereits gesagt, die alles umfassende Grundaussage des Erwachten.  In der ersten Wahrheit zählt der Erwachte nämlich alles auf, was Leiden ist, und sagt dann am Ende dieser Ausführungen: "Kurz gesagt: die fünf khandhas sind Leiden." Der Pali-Begriff „upadana-khandha“ bedeutet: Durch Ergreifen bzw. Aneignen entstandene Anhäufungen, Zusammenhäufungen. Diese fünf Zusammenhäufungen sind:

1. rupa = Form, Körper (besetzt mit den Trieben, dem Empfindungssuchtkörper).

2. vedana = Gefühl.

3. sanna = Wahrnehmung.

4. sankhara = Aktivität.

5. vinnana = programmierte Wohlerfahrungssuche (Bewusstsein).

Von diesen fünf Zusammenhäufungen können wir sagen, dass sie die gesamte Existenz ausmachen, dass sie alles, was überhaupt erscheint, samt dem Erscheinen selber und samt den Bedingungen des Erscheinens enthalten; außer den fünf Zusammenhäufungen gibt es nichts in der Existenz.

Wir können uns umsehen in unserem Leben, wo immer wir wollen - ob wir uns "nach außen" oder "nach innen" wenden, ob wir den Mikrokosmos und Makrokosmos in allen Richtungen durchschweifen oder ob wir in tiefen Meditationen oder auch im durchdringenden Weisheitsanblick in der rück erinnernden Erkenntnis vergangener Daseinsformen und in anderen übersinnlichen Zuständen tiefe und umfassende Einsichten gewinnen - alles was nur irgendwie in dieser oder in anderer Weise erfahren wird und erfahrbar ist, das ist immer irgendwie geartete Form, irgendwie geartetes Gefühl oder Wahrnehmung oder irgendwie geartete Aktivität oder programmierte Wohlerfahrungssuche oder mehrere dieser Faktoren - oder alle fünf zusammen; außer diesen fünf tut sich nichts, erscheint nichts.

Der Erwachte sagt, dass die fünf Zusammenhäufungen Leiden seien. Das bedeutet: Innerhalb dieser fünf Zusammenhäufungen kann kein Wohl bestehen bleiben. Es mag hier und da Wohl vorübergehend erfahren werden, aber alles wandelt sich immer wieder in Leiden um, auch wenn es im Anfang anders aussieht. Was sind nun die fünf Zusammenhäufungen?

Unter Form, der ersten der fünf Zusammenhäufungen, wird verstanden sowohl die zu sich gezählte Form, also "unser" Körper wie auch die fremde uns umgebende Form, die Umwelt, also auch der Körper der anderen Menschen; ebenso der Körper eines Tieres und einer Pflanze. Was für mich "fremde" Form ist
, z.B. der Körper meines Freundes, das ist für ihn selbst zu sich gezählte Form, so wie für ihn mein Körper fremde Form ist. Und natürlich auch der Tisch, der Stuhl, der Teppich - das alles ist Form, alles was überhaupt aus den vier Hauptgewordenheiten besteht: aus Festem, Flüssigem, Temperatur und Luftigem, aus diesen vier Elementen oder Aggregatzuständen, das ist Form. Alles, was gesehen, gehört, gerochen, geschmeckt und getastet wird, also alles, was durch die fünf Sinnesdränge im Körper an Tönen, Düften usw. erfahren werden kann, ist "Form".  Die zu sich gezählte Form, der Körper, ist besetzt mit den Trieben, dem Spannungsleib, der als Empfindungssuchtkörper den Fleischleib durchzieht. Durch ihn bedingt ist die zweite Zusammenhäufung Gefühl.

Es gibt mancherlei Arten von Gefühl, sämtliche Gefühle sind entweder
Wohlgefühl oder Wehgefühl oder das mehr oder weniger neutrale Gefühl. Bei jedem Erlebnis, in jedem Augenblick haben wir irgendeines dieser drei Gefühle. Es gibt Erlebnisse, die uns angenehm sind, die uns sehr beglücken und entzücken und auch solche, die uns unangenehm sind, uns ekeln, entsetzen, die wir verabscheuen. Das sind mehr oder weniger starke Wohl- oder Wehgefühle, und dazwischen liegen dann die schwächeren Wohl- oder Wehgefühle bis zur Neutralität als "weder Weh noch Wohl". Wir erkennen, dass die Gefühle nicht durch den äußeren Gegenstand, der erlebt wird, bedingt sind, sondern durch das Verhältnis der Triebe zu dem Erfahrenen. Triebe d.h. durch die den sichtbaren Fleischkörper ganz und gar durchdringenden Tendenzen, die ebenfalls Körperform haben und den unsichtbaren Anliegenskörper, Empfindungssuchtkörper bilden. Weil wir in Gefühlen schwimmen, merken wir nicht ihr Rieseln, nehmen sie als etwas vermeintlich Durchgehendes - "das Gefühl" - wie der faszinierte Kinobesucher die projizierten tausend Einzelbilder des Filmstreifens als etwas Durchgehendes nimmt. Dieses nur vermeintlich Durchgängige nehmen wir für "das Leben". Die Qualität unserer Gefühle bestimmt die Qualität der Existenz. Die Gefühle sind es, die den einzelnen Erlebnissen und damit unserem ganzen Leben jeweils Stimmung und Klang verleihen, durch deren Vielfalt und Wechsel unsere Erlebnisse für uns erst "lebendig" werden, uns ansprechen, uns engagieren, so dass wir sie im Gefühl erst als unser Erleben nehmen.

Die dritte Zusammenhäufung ist die Wahrnehmung. Wahrnehmung ist die Tatsache, dass erlebt wird. Von der Geburt an sehen wir, hören wir, riechen wir, schmecken wir, tasten und denken wir Dinge, die teils angenehm sind, teils unangenehm sind. Je stärker ein Sinneseindruck bei Berührung der Triebe mit Gefühl durchtränkt ist, umso deutlicher nehmen wir die betreffende Sache wahr.  Wie die Luftspiegelung, die Fata Morgana, eine Projektion von Gegenständen oder Landschaften ist, die selbst nicht dort und so nicht sind, wo und wie die Fata Morgana erscheint, ja die es - wie bei der Vortäuschung von Wasser durch gespiegeltes Himmelslicht auf einer trockenen Fläche - überhaupt nicht gibt, ebenso entstehen durch die Gefühlsbesetzung der erlebten Objekte Vorstellungen von schönen, wohligen, gehaltvollen, beständigen Dingen oder von unschönen, widerwärtigen, störenden Dingen. Vielleicht kennen Sie die Situation: Sie sprechen mit einem Freund, und daneben sprechen zwei andere Menschen miteinander. Sie sind mit dem Freund ernsthaft konzentriert beim Gespräch, und jetzt hören Sie von den beiden anderen Ihren eigenen Namen mit einer verächtlichen Betonung. Wie ist Ihnen nun zumute? Sie sind jetzt bei dem Gespräch mit dem Freund nicht mehr so ganz dabei, sind abgelenkt, hören auch nach nebenan. Und warum? " Was man fühlt, das wird wahrgenommen", sagt der Erwachte. Sie haben zusammen mit einem sinnlichen Eindruck auf Grund Ihres Anerkennungsbedürfnisses ein unangenehmes Gefühl gehabt, und schon wird Ihre Aufmerksamkeit wach. Dem Geheilten ist es ganz gleichgültig, ob "sein Ich" verachtet oder gelobt wird in der Welt, er denkt überhaupt nicht mehr "Ich". Wer da weiß: "Da ist gar kein Ich, leer ist es von Ich und Mein ", der fühlt nichts dabei, wenn sein Name fällt oder nicht, und darum nimmt er eine solche Situation nicht wahr. Die Triebe bestimmen unsere Erlebnisse. Dieselben objektiven Angebote aus der Welt werden von zwei Menschen, an die sie herankommen, sehr unterschiedlich erlebt. Der eine erlebt auf Grund anderer Tendenzen aus denselben Situationen Wohl, der andere Wehe oder Langeweile.

Und entsprechend der Wahrnehmung, dem Erleben, reagiert der Mensch, denkt darüber nach und handelt. Das ist die vierte Zusammenhäufung, die Reaktion auf das jeweils ankommende Erlebnis. Es gibt eine spontan-reaktive Aktivität und eine Aktivität, die von Weitblick und Überblick gelenkt wird, wie an anderer Stelle erklärt wird. Die gesamte Aktivität der Wesen besteht im Denken, Reden und Handeln. Diese ist letztlich gelenkt von den tieferen Leitbildern und Wertanschauungen. So geht jede Aktivität vom Geist aus, zu dem auch unser Gedächtnis, unser Bewusstsein von dem bisher Erlebten gehört. Dort entsteht von Fall zu Fall der Wille, die Absicht, sich so und so zu verhalten. Diese Absicht, dieser Wille ist immer abhängig von den im Gedächtnis angesammelten Erfahrungen und Belehrungen über das, was uns wohltut und was uns schmerzlich ist und wie man das Wohltuende erlangen und das Schmerzliche vermeiden könne. Diese Erfahrungen nehmen im Laufe des Lebens immer mehr zu und bewirken darum auch eine ständig sich zumindest etwas wandelnde Strebensrichtung.

Generell zählt zu den Aktivitäten:

1. Die Bewegheit des Körpers (kaya-sankhara), nämlich der ununterbrochen gehende Atem, ihn so vor sich gehen zu lassen, fällt dem Menschen leicht, denn es vollzieht sich "von selber", aber ihn anzuhalten, fällt ihm schwer und ist ihm für längere Zeit unmöglich, weil der Körper sonst stürbe. Zu der körperlichen Bewegtheit zählt auch der Herzschlag, die ständige Erneuerung des Blutes und die gesamten vegetativen Vorgänge, wie der Stoffwechsel... Insofern ist es eine Bewegtheit, in welcher sich der Mensch von der Geburt an vorfindet.

2. Die Bewegtheit des Denkens (vaci-sankhara). Auch diese geht ununterbrochen vor sich. Was er denkt, das hängt zwar von dem ab, was er bisher erlebt hat und darum bedenken kann, und der besonnene Mensch bemüht sich auch, die Gedanken, die er für übel hält, möglichst zu unterlassen und andere Gedanken zu pflegen. Aber das Denken geht ebenso wie der Atem geradezu zwangsläufig vor sich, und es zu unterlassen, ist dem normalen Menschen auf die Dauer nicht möglich. Der Erwachte nennt fast immer zwei Denkformen, Erwägen/Bedenken (vitakka) und Sinnen (vicara).

3. Die dritte Bewegtheit, in welcher der Mensch lebt und webt, ist die des Herzens (citta-sankhara). Der Erwachte erläutert sie als das fortlaufende Vorsichgehen von Empfinden und Wahrnehmen. Es ist das, was wir als unser eigentliches Leben und Erleben bezeichnen. Der normale Mensch merkt diese Bewegtheit um so weniger, je mehr er auf die äußeren Dinge achtet. Durch die Triebe des Herzens, die als Empfindungssuchtkörper den Fleischkörper, die zu sich gezählte Form, durchziehen, kommen ununterbrochen Gefühle und Wahrnehmungen auf. Wir wissen dass wir in jedem Augenblick irgendein kleineres oder größeres Erlebnis haben, irgendeine Begegnung mit "Umwelt" oder mit uns "selber" - und die besteht immer darin, dass etwas wahrgenommen wird und dass damit zugleich als Resonanz der Triebe ein angenehmes oder unangenehmes Gefühl gefühlt wird.

Insofern laufen da miteinander in ununterbrochener Vermischung diese drei Bewegtheiten, Aktivitäten.

Die fünfte Zusammenhäufung ist die vom Geist ausgehende programmierte Wohlerfahrungssuche, meistens mit „Bewusstsein“ übersetzt. Sobald sich bestimmtes Denken, Reden oder Handeln (Aktivität, vierte Zusammenhäufung) durch Wiederholung eingespielt hat, gewohnt ist, läuft sie "von selber": d.h. irgendein Sinneseindruck bewirkt im Geist schon die fast unbewusste, aber blitzartige Erinnerung, dass im Zusammenhang mit diesem Sinneseindruck so und so geartetes Angenehmes oder Unangenehmes erfahren wird, das Angenehme so und so erlangt und das Unangenehme so und so vermieden werden kann.

So ist die programmierte Wohlerfahrungssuche eine aus mehr oder weniger gründlicher oder flacher Erwägung geschaffene Gewöhnung, Programmiertheit, indem der Mensch im Laufe seines Lebens in seiner Weise des denkerischen und körperlichen Reagierens immer gewohnter, sicherer und damit festgelegt wird. Viele Eindrücke im Leben und darum auch die Reaktion des Geistes darauf mit denkerischem Kombinieren, Steuerung und Lenkung des Körpers wiederholen sich, werden ein unbewusster Programmablauf, eine unbewusste Steuerung, die im Kleinkindalter in bewusster Aktivität im Denken, Reden und Handeln aufgebaut wurde und die bei jeder inneren und äußeren Umstellung auch wieder von der denkerischen Aktivität umprogrammiert wird. Diese programmierte Lenkung und Steuerung geschieht in unmittelbarer Verknüpfung mit den durch die Sinnesdränge in den Geist eingetragenen Wohl- und Wehe-Erfahrungen und der denkerischen Reaktion darauf. Die Programmiertheit besteht darin, Geist und Körper so zu lenken, dass wohltuende Formen herangeholt werden, um sie zu erfahren, wehtuende vermieden werden.

So sagt der Erwachte, dass die programmierte Wohlerfahrungssuche weiß, was wohl- und was wehtut. Mit dem Heranholen (5) der angenehmen (2) Formen (1) und Meiden der wehtuenden (2) Formen (1), die wahrgenommen werden (3), worauf wieder reagiert wird mit Denken, Reden und Handeln (4), welche Gewöhnung wiederum programmiert wird (5), schließt sich der Kreislauf der fünf Zusammenhäufungen, den wir "Leben" nennen.

Wenn man an einem fünfspeichigen Rad am Ende jeder Speiche eine Fackel befestigt und das Rad um seinen Mittelpunkt in Schwung setzt, so erscheinen nicht mehr fünf brennende Fackeln, sondern ein geschlossener einheitlicher Feuerkranz. Ganz ebenso bewirkt das ununterbrochene Aufkommen und Entschwinden dieser fünf Komponenten des empirischen "Erlebensvorganges" den Eindruck eines einheitlichen Erlebers, welcher da erlebe. Nur wegen dieses täuschenden Eindrucks, der durch das kontinuierliche ununterbrochene Auf- und Abtauchen der fünf Komponenten entsteht, gibt es in der Welt die Auffassung von einem ewigen Kern in den Erscheinungen - wie immer er genannt sein möge - nicht aber gibt es einen solchen Kern in Wirklichkeit.

Es ist hier allerdings noch einem Missverständnis vorzubeugen: In den Lehrreden des Erwachten ist ein Unterschied festzustellen zwischen "Ich" (aham) einerseits und "Selbst" (atta) andererseits. In der konventionellen Sprache gebraucht der Buddha den Ausdruck "Ich" ganz ebenso wie wir, spricht auch von "seiner" Jugend und "seinen" geistigen Kämpfen um die Erwachung, obwohl er in seiner Jugend unvergleichlich anders war als in seinem späteren Buddha-Stand, und er spricht auch über die durch sein universal gewordenes Bewusstsein erlangte Erinnerung an ungezählte frühere Existenzen stets in Worten wie: "Dort war ich, jenen Namen hatte ich" usw., obwohl auch diese früheren Lebensformen von Leben zu Leben sehr sehr unterschiedlich waren. Jede andere Person hat eine andere Lebensentwicklung, d.h. einen anderen Komplex der fünf Zusammenhäufungen und andere kontinuierliche Veränderungsverhältnisse. So wie bei einem mächtigen Baum nicht zwei seiner Blätter "identisch" sind und wie bei einem in tausend Scherben zerbrochenen Krug nicht zwei Scherben identisch sind, so gibt es für die Begegnungswahrnehmung auch nicht zweimal fünf Zusammenhäufungen, die identisch sind und deren laufende Veränderung durch das ganze Leben völlig gleichartig verläuft. Insofern kann ich "mein" Ich von dem des "anderen" unterscheiden, doch bleibt es dabei: dieses "Ich" ist nur eine Bezeichnung für jenen bestimmten Zusammenhäufungskomplex und die ihm gemäßen Veränderungen, und es bezeichnet nicht einen individuellen und souveränen Träger dieses sich ständig wandelnden Zusammenhäufungskomplexes.

(nach versch. Artikeln von Paul Debes)