Ein Vierteljahrhundert der Blüte.

 

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Aus den nach der Berufung Anandos folgenden fünfundzwanzig Jahren, dem Vierteljahrhundert vom 55. bis zum 80. Lebensjahr des Buddha, fehlt in der Überlieferung jegliche Chronologie. Das einzige, was bekannt ist, ist die Tatsache, dass der Erwachte alle Regenzeiten dieser Periode in Savatthi verbrachte, mit Ausnahme der letzten, die er in Vesalí war. Ein anderer zeitlicher Anhaltspunkt ist, dass acht Jahre vor dem Tod des Buddha die Rebellion Devadattos erfolgte. Erst aus dem letzten Lebensjahr des Buddha ist dann wieder eine Chronologie bekannt. Diese Lücke der Überlieferung wird im 2l.Kapitel der chinesischen Bearbeitung von Asvaghosas Buddhacarita  dadurch zu schließen versucht, dass in wenigen trockenen Sätzen die Namen einiger Bekehrter aus dieser Zeit aufgezählt werden, ohne dass sich daraus eine Zeitfolge rekonstruieren ließe.

Anmerkung: Es ist daher notwendig, hier die chronologische Form der Darstellung zu verlassen. Hellmuth Hecker hat in seinem Buch für die vielen noch aus dem Leben des Erwachten zu berichtenden Dinge eine Darstellung nach Sachthemen gewählt, die zu ausführlich für diese Webseite ist. Das Buch ist zu beziehen über das Buddhistische Seminar in Bindlach-Benk (ausschließlich postalische Bestellung).

Die allermeisten überlieferten Lehrreden dürften nämlich in diese Zeit fallen, in welcher nun Anando, dem untrennbaren Schatten gleich, den Buddha begleitete und alle Lehrreden kraft seines einzigartigen Gedächtnisses behielt. In der Einleitung der Mehrzahl dieser Lehrreden heißt es, dass der Erwachte zu der Zeit, wo er sie hielt, zu Savatthi weilte - dem Ort also, wo er ab seinem fünfundfünfzigsten Lebensjahr fünfundzwanzig Regenzeiten verbrachte und wo seine Lehrtätigkeit in einer gewissen Weise örtlich zentralisiert war. Der Stoff der Lehrreden liegt also vor, nur die zeitliche Reihenfolge fehlt. Da es bei diesen Lehrreden aber meist auch gar nicht auf Zeitpunkt und Ort ankommt, da sie eben wie die ganze Lehre zeitlos sind, so ist eine Chronologie hier auch entbehrlich.

Der Tageslauf des Erwachten spielte sich so ab, dass er morgens auf Almosengang ging oder, wenn er zum Essen geladen war, seine Gastgeber durch Lehrgespräche ermunterte. Den Nachmittag hielt er entweder Gedenkensruhe, oder er widmete sich den Besuchern. Die zwölf Stunden der indischen Nacht verbrachte er nach Berichten in der Regel wie folgt: In der ersten Nachtwache (6-10 Uhr abends) belehrte er die Mönche, so wie es sehr oft in den Texten heißt, dass er nach Aufhebung der Gedenkensruhe sich ihnen widmete. In der zweiten Nachtwache pflegte er Geistwesen, meistens Götter, zu belehren, war er doch der Lehrer der Götter und Menschen. In der letzten Nachtwache (2-6 Uhr morgens) gab es drei Teile: In ihrem ersten Drittel ging er auf und ab, im zweiten Drittel legte er sich nieder, im letzten Drittel schaute er mit dem erwachten Auge über die Welt und sah, wo Wesen waren, denen er helfen konnte. Da sich das Verhältnis des Buddha als Lehrer der Wesen zu ihnen einzig und allein in der Sprache ausdrückt, bedarf es einiger Hinweise über die Sprache eines Erwachten. Wer die Lehrreden aufmerksam und wiederholt liest, der kann ihren auffälligen Unterschied gegenüber jeglicher Literatur merken. Dieser besteht darin, dass sie gleichzeitig sachlich und lebendig sind. Normalerweise ist das rein Sachliche trocken, und was lebendig ist, das ist phantasievoll, aber nicht sachlich. Die Vereinigung dieser beiden widerstreitenden Darstellungsprinzipien wird dadurch erreicht, dass ein Erwachter kraft seines weltenweiten Blicks wahrhaft alle Höhen und Tiefen der Existenz kennt, so dass er so lebendig spricht, wie er es schaute, "anschaulich" in Vollendung. Und seine Kraft besteht darin, die gesamte Vielfalt der Dinge in klaren Begriffen mitzuteilen und zu ordnen, die aber - so genau sie sind - nie um der Einteilung willen gewählt sind, sondern zur praktischen Orientierung auf dem Heilsweg. lmmer kehren in den Lehrreden die gleichen Begriffsreihen wieder, die dann je nach Bedarf auch abgewandelt werden. Die Terminologie eines Buddha ist klar. Und die Terminologie eines Buddha ist farbig. Das wird vor allem durch die vielen Gleichnisse belegt. Wenn er unsichtbare und verborgene Dinge schildern will, die der Hörer nicht kennt und die sich oft auch dem direkten Zugriff der Sprache entziehen, dann kommt er ihm dadurch entgegen, dass er von bekannten Dingen ausgeht und an deren Verhältnissen und Funktionen dann die Verhältnisse und Beziehungen der unbekannten Dinge veranschaulicht. So vermag er oft geistige Zusammenhänge, Abläufe oder Verhältnisse exakt zu schildern, für welche die Sprache keine Begriffe kennt. Während Jesus erst im Laufe seiner Predigten dazu überging, in Gleichnissen zu sprechen, und während er dabei Glaubensinhalte in den Vordergrund stellte, hat der Buddha von Anfang an gerade kausale Zusammenhänge in Bildern ausgedrückt. Die Gleichnisse sind nicht etwas, das nur eine schmückende Beigabe wäre, sie sind vielmehr ein wesensnotwendiger Teil der Sprache des Erwachten; und es ist bemerkenswert, dass in der späteren Scholastik die Gleichnisse und damit alles in ihnen Gesagte völlig fehlen, wie im ganzen Abhidhamma. Man frage sich einmal, wie viele Gleichnisse wohl in den Lehrreden vorkommen. Man mag geneigt sein zu antworten, dass es vielleicht hundert sind oder zweihundert. Ein Überblick über die Gleichnisverzeichnisse der vier Hauptsammlungen ergibt aber folgende Zahlen:

Längere Sammlung : 136

Mittlere Sammlung : 264

Gruppierte Sammlung : 261

Angereihte Sammlung : 172

Berücksichtigt man dazu noch die Gleichnisse der Verssammlungen und zieht man andererseits die Parallelstellen ab, so ergibt sich etwa die Zahl von tausend Gleichnissen. Angesichts dieser großen Zahl ist es nicht möglich, auch nur Beispiele davon zu geben. Die Lehrreden sind eben durchsetzt davon, und die Erläuterung und das Verständnis der Beziehungen zwischen dem Gleichnis und dem existentiellen Sachverhalt ist etwas, das zu einer Darstellung der Lehre, nicht aber des Lebens des Buddha gehört.

Die geistige und leibliche Gestalt des Buddha, wie sie sich im Bild seiner Zeitgenossen darstellt, gipfelt im sogenannten Ruhmesruf, der an zahlreichen Stellen des Kanon vorkommt. Die konkreteste Beschreibung des Buddha findet sich aber im Urteil des Priesters Sonadando in Digha Nikaya 4. Sonadando sagt vom Erwachten:

l. Er ist beiderseits wohlgeboren, von Vater und Mutter aus, bis zum siebenten Ahnherrn hinauf. 

2. Er hat einen großen Verwandtenkreis verlassen und ist hinausgezogen.

3. Er hat reichlichem Gold und Geschmeide pilgernd entsagt.

4. Er ist noch in frischer Blüte, glänzend dunkelhaarig, im Genusse glücklicher Jugend, im ersten Mannesalter aus dem Hause fortgezogen.

5. Er ist gegen den Wunsch seiner weinenden und klagenden Eltern mit geschorenem Haar und Bart, mit fahlem Gewand fortgezogen.

6. Er ist schön, hold, liebenswürdig, mit höchster Anmut begabt, mit heiligem Glanz, heiligem Licht, es ist keine geringe Gunst, ihn anzublicken.

7. Er ist tugendrein, von edler Tugend, gediegener Tugend, in gediegener Tugend erfahren.

8. Er spricht angemessen, redet angemessen, seine Rede ist höflich, deutlich, nicht stammelnd, tauglich den Sinn darzulegen.

9. Er ist vieler Meister und Altmeister.

10. Er hat Wunschbegier versiegt, ist frei von Unfrieden.

11. Er lehrt das Gesetz von Saat und Ernte, lehrt folgenschaffendes Wirken.

12. Er ist aus hohem und unabhängigem Herrscherhause hinausgezogen.

13. Er ist aus reichem Hause hinausgezogen, mit Geld und Gut mächtig begabt.

14. Zu ihm kommen sie über Länder und Reiche, um Fragen zu stellen.

15. Bei ihm haben viele Tausende von Gottheiten zeitlebens Zuflucht genommen.

16. Ihn begrüßt man allenthalben mit dem frohen Ruhmesruf.

17. Er ist mit den zweiunddreißig Merkmalen eines großen Mannes begabt.

18. Er heißt einen jeden willkommen als Freund, als Ermunterer, ohne finstere Miene, mit offenem Antlitz, er spricht jeden zuvorkommend an.

19. Er wird von allen vier Kasten wertgehalten, hochgeschätzt, geachtet, geehrt und ausgezeichnet.

20. Ihm sind viele Götter und Menschen heiter zufrieden zugetan.

21. Bei welchem Ort er auch Aufenthalt genommen hat, da können böse Geister den Menschen nichts anhaben.

22. Er hat zahlreiche Jünger und Anhänger um sich, ist das Haupt einer Schule, wird als Vorzüglichster der volkstümlichen Bahnbrecher angesehen.

23. Wenn manche Asketen und Priester auf diese oder jene Weise berühmt werden, so ist er durch die höchste Bewährung in Wissen und Wandel berühmt geworden.

24. Bei ihm haben viele Könige und hochmögende Priester mit Familie und Gefolge Zuflucht genommen, und er wird von allen geehrt und geschätzt.

 

Quelle: Das Leben des Buddha, von Hellmuth Hecker.

 

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