Der Gang in die Hauslosigkeit und die Askese des Bodhisattva.

 

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Als er, mit seinen Gedanken beschäftigt, eines Tages auf und ab ging, da erblickte er einen Mönch. Er hatte schon oft Mönche und Pilger gesehen. Sie gehörten zum selbstverständlichen Bild jeder indischen Stadt. Aber die meisten von ihnen waren abgezehrt und düster. Und die anderen, die echten Mönche waren, die hatte er zwar gesehen, aber doch nicht gesehen, denn er hatte sie nicht beachtet. Doch nun, als sein Auge geschärft war, da fiel ihm dieser Mönch auf. Er bewegte sich mit unnachahmlicher Gelassenheit. Er blickte nicht in das Getümmel der Menschen, aber er zeigte auch keine Verachtung für sie. Siddhattho ging auf ihn zu und fragte ihn nach dem Ziel seines Strebens. Der Mönch schaute ihn heiter an und erwiderte: "Mein Ziel, Bruder, ist: Gemütsruhe und Erlösung." Das erfreute den Bodhisattva, das schien ihm ein sinnvolles Ziel, er suchte ja das Gleiche.

Immer stärker zog es den Bodhisattva vom Hause fort. Wie eine Leichenhalle kam ihm der Palast der Sterblichen vor, die fröhlich dahinlebten, dem Altern und Sterben entgegen, einer ungewissen Zukunft entgegen, dem Schicksal blind ausgeliefert. Bei den Belustigungen, die man zu veranstalten pflegte, um ihn aufzuheitern, fielen ihm die Augen zu. Es war ihm einfach nicht möglich, sich an dem Theater des Lebens ernsthaft zu beteiligen.

Der äußere Anstoß, der ihn schließlich alle Zweifel an der Richtigkeit seines Zieles überwinden ließ, kam, als ihm nach dreizehn Jahren Ehe sein erstes Kind geboren wurde. Es war ein Sohn, der den Namen Rahulo erhielt. Im vorigen Leben hatte der Bodhisattva mit Rahulo im Tusita-Himmel zusammengelebt, und jetzt war dieser von dort abgeschieden und, wie schon so oft im Laufe der langen Wanderung durch das Dasein, bei ihm als Sohn erschienen. König Suddhodano strahlte vor Freude, dass ein Sohn die Dynastie fortsetzen werde, und er hoffte, dass der kleine Enkel seinen Sohn so fesseln würde, dass er seine Mönchsgedanken aufgeben würde. Aber das Gegenteil war der Fall. Der Bodhisattva gedachte der tieferen Zusammenhänge: Da habe ich dieses Wesen herbeigerufen, und es vertraut blind seinen Eltern, die ihn zum Menschen erziehen. aber was dieses Wesen da eigentlich erstrebt und ersehnt, nämlich dauerhaftes Glück, das kann ich ihm nicht geben. Ich stehe ja selber noch ebenso im Leiden wie es und bin ebenso unwissend über den Ausweg wie es. Was wäre das für ein Vater, der unfähig ist, seinem Sohn das zu geben, was er im Grunde sucht?

Sieben Tage nach der Geburt Rahulos, als er selber von seinem Vater feierlich zu seinem künftigen Nachfolger geweiht werden sollte, war sein Entschluss rief geworden. Darüber sagt er später:

"Und ich zog nach einiger Zeit, noch in frischer Blüte, glänzend dunkelhaarig, im Genusse glücklicher Jugend, im ersten Mannesalter, gegen den Wunsch meiner weinenden und klagenden Eltern, mit geschorenem Haar und Barte, mit fahlem Gewand bekleidet, vom Hause fort in die Hauslosigkeit." (Majjhima Nikaya 26)

Es darf dies nicht so verstanden werden, dass sein Vater und seine Stiefmutter laut wehrklagend und händeringend an den Stufen des Palastes standen und dass er heroisch auf und davon schritt, es ist aber auch wenig wahrscheinlich, dass der Abschied in derjenigen heimlichen Dramatik vor sich ging, die die spätere Tradition ausmalte. Der obige Text dürfte so zu verstehen sein, dass der Bodhisattva gegen den generellen Willen seiner Eltern fortging. Am wahrscheinlichsten ist, dass er, um ihnen herzzerreißende Szenen zu ersparen, nachts fortgegangen ist, in aller Stille und mit vollem Bewußtsein, dass er diesen Schritt nur tun durfte um einer höheren Pflicht und Verantwortung willen. Es heißt, so wie ein Karawanenführer still weggeht, um den verlorenen Weg für alle wiederzufinden, damit sie nicht gemeinsam umkommen, so ging der Bodhisattva vom Hause fort.

Aus dem Prinzen Siddhattho Gotamo war jetzt der Asket Gotamo geworden. Sieben Tage lang lebte er einsam für sich im Walde und ernährte sich von Früchten. Die Spannung der letzten Zeit, das viele Hin und Her der Gedanken war einer großen Ruhe gewichen. Er suchte das Heilsame (kusala), er suchte das Heil (ariya), das höchste Ziel. Seine Wanderschaft führte ihn zunächst in die Hauptstadt des Reiches Magadha, nach Rajagaham. Dort war damals das Zentrum des geistigen Lebens, und er hoffte, dort geistige Lehrer zu finden. Als er das erste Mal nach Asketensitten in der Stadt auf Almosengang ging, sahen ihn die Leute des Königs und waren von seiner Gestalt so beeindruckt, dass sie dem König berichteten. Er traf dann den König und der meinte, er könne die Askese doch noch im Alter üben. Aber der Bodhisattva erwiderte, gerade dafür brauche man noch die Jugendkraft - und wer wisse denn, ob er überhaupt alt werde und nicht morgen schon sterbe?

Dann fand der Bodhisattva seinen ersten Lehrer. Der Inhalt der Lehre Alaro des Dunklen bestand darin, dass er alles Gegenständliche ("Form") als Quelle des Leidens erkannte. Geburt, Alter, Krankheit und Tod - das gibt es nur, wo ein Körper, wo die fünf Sinne sind, und eine Sinnenwelt kann sich nur bilden, wo überhaupt noch Bezug zu Formen gesucht und gepflegt wird.

Wie der Buddha später selber entdeckte, gibt es sogar vier Stufen der Formlosigkeit, von denen der dunkle Alaro die dritte lehrte. Die ersten beiden Stufen beziehen sich auf den unbegrenzten Raum und die unbegrenzte Zeit, die beide noch ein Reflex der Vielheit der Formen sind. Alaro aber lehrte darüber hinaus die Lehre von der Nichtetwasheit, in der auch Raum und Zeit nicht vorkommen. Diese Lehre vom "Nichts" als Überwindung alles Leidigen und Leidens ist auch in der Mystik aller Religionen als höchstmögliche Läuterung bekannt, im Christentum, bei den Sufis im Islam, im Taoismus. Für die Mystiker ist dieses Nichts die höchste Freiheit, die eigentliche Realität, denn sie erfahren es als höchste Befreiung. Der Bodhisattva erreichte es und erkannte nach einiger Zeit, dass diese meditative Stufe noch ungenügend war. Er ging von diesem Lehrer fort und suchte weiter.

Auf dieser Suche kam er zu einem zweiten Lehrer, Uddako Ramaputto. Davon wird fast genau derselbe Bericht wie oben gegeben, nur mit drei Unterschieden: Uddako stellte nicht das Nichtdasein dar, sondern darüber hinaus die vierte und letzte Stufe der Formlosigkeit, die sog. Grenzscheide möglicher Wahrnehmung. Er hatte sie nicht selber erlebt, sondern er lehrte sie so, wie sein Vater Rama sie erlebt hatte. Er bot dem Bodhisattva die Führung seiner Schar an, weil der Bodhisattva seinem Lehrer in der Verwirklichung überlegen war.

So schwer es uns ist, uns einen Gedanken jenseits der Vorstellung des Nichts vorzustellen - noch ungleich schwerer ist es uns, nachzuvollziehen, was der Bodhisattva dachte, als er sich von Uddako abwandte. Er tat aber genau das und wanderte weiter allein im Reiche Magadha umher. Und eines Tages, in Ruhe und Stille, leuchteten ihm drei Gleichnisse auf:

1. Wenn ein feuchtes leimiges Holzscheit ins Wasser geworfen würde, so könnte man trotz allergrößter Mühe daraus mit einem Reibholz kein Feuer und Licht hervorbringen. Das ist ein Gleichnis für die Durchtränkung mit Sinneslust.

2. Wenn das feuchtschleimige Holzscheit nun aber fern vom Wasser an Land geworfen würde, wenn es nicht mehr im Strome schwimmen würde, könnte man dann Feuer entfachen? Nein, es ist ja innen noch feucht. Ebenso ist es mit jenen Asketen, die die Sinnengenüsse zwar aufgegeben haben, aber später aus Notdurft doch wieder dem Genusse verfallen.

Er sagt von sich, dass auch er als Asket immer noch um die Lüste herumtanzte, ihren Zug spürte, auch, wenn er ihm nicht folgte und auch, wenn er ihn nicht wollte, sondern ihn als Elend ansah.

3. Wenn ein trockenes ausgedörrtes Holzscheit fern vom Wasser an Land geworfen würde, so könnte man damit in der Tat Feuer und Licht entzünden. Ebenso sind auch jene Asketen, die sowohl äußerlich im Tun wie innerlich im Denken, Vorstellen und Wollen jeden Bezug zu den Sinnendingen vollkommen gelöst haben, fähig zur Wissensklarheit und Erwachung. Sie haben diese zwar noch nicht erlangt, aber sie sind fähig dazu. Wo aber gab es solche Asketen? Nirgends. Doch der Bodhisattva erkannte, dass er ein solcher Asket dieser dritten Art gemäß dem dritten Gleichnis werden musste.

So versuchte der Bodhisattva zunächst drei verschiedene Wege zur Befreiung von den sinnlichen Trieben zwecks Überwindung der auf die Sinne beschränkten Bewusstseinsebene, drei Wege, die von Gewalt bestimmt waren:

1. Gewalt gegen die Psyche. Kampf gegen die Vorstellungen der Gier, des Hasses oder der Verblendung mit dem Mittel der Unterdrückung. Geschildert in Majjahima Nikaya 36, wie auch die anderen beiden Wege.

2. Gewalt gegen den Atem. Als sich der direkte Angriff gegen die Triebe als unmöglich und erfolglos erwies und nur bewirkte, dass der Körper noch unruhiger wurde, da versuchte der Bodhisattva, dem unruhigen Körper selbst beizukommen mit gewaltsam unterdrücktem Atem.

3. Gewalt gegen den Körper. Als dem Bodhisattva durch jene Vergewaltigung des Atems sterbenselend geworden war, so dass man meinen könnte, er sei bereits tot oder nahe dem Tode, da kam ihm der Gedanke: "Wie wenn ich mich nun gänzlich der Nahrung enthielte?" Er erwog also die Möglichkeit, durch völlige Nahrungsenthaltung sozusagen die Regsamkeit des Körpers auszuhungern und so die Triebe ihrer Wirkungsstätte zu berauben und sie so zu beruhigen. Hier ist kein Gedanke daran, etwa durch  Selbstmord der Daseinsproblematik entgehen zu wollen, denn er war ja felsenfest davon überzeugt, dass er wiedergeboren würde, solange die unbewältigten Triebe bestanden.

Er beschloss dann, so wenig Nahrung zu sich zu nehmen wie möglich. Die Folge dieses Fastens war, dass der Asket Gotamo außerordentlich mager wurde. Mit äußerster Konsequenz war er den Weg der Gewalt bis zu diesem Ende gegangen, wobei er nicht weitergekommen war als früher. Er war zum Skelett abgemagert - wie die Abbildung oben es eindrucksvoll als falschen Weg zeigt.

Danach sagte er sich ganz nüchtern: Ich wollte doch für mich und andere den Ausweg aus dem Leiden finden, aber stattdessen habe ich das Leiden nur schlimmer gemacht und mir bloß zusätzliche und unnötige Schmerzen zugefügt, mehr als je ein Asket; der Weg der Schmerzen kann nicht der richtige sein.

In diesem Augenblick, als er alles aktive Streben einstellte und am Ende seiner Möglichkeiten angelangt war, fiel ihm sein Jugenderlebniss, die Entrückung am Rosenapfelbaum wieder ein. Und er dachte: "Das mag wohl der Weg zur Erwachung sein." Und sofort kam aus der Tiefe seines Gemüts die sichere Antwort: "Das ist der Weg  zur Erwachung" (eso maggo bodhaya). In diesen kurzen Worten ist nicht wenig an Bedeutung enthalten. Erstens besagt dies, dass es überhaupt eine Erwachung gibt: Dessen war er sich völlig gewiss. Zweitens heißt dies, dass sie erreichbar ist, dass es einen Weg dorthin gibt. Und drittens erkannte er, dass die Entrückung den Weg weist. In jenen drei Worten liegt die Geburtsstunde des Heils, das jetzt nur noch eine Zeitfrage bis zur Verwirklichung war.

Der erste Schritt auf dem mittleren Pfad bestand darin, dass der Bodhisattva erkannte, des sei mit so geschwächtem und abgezehrten Leib nicht möglich, das Wohl der Entrückungen zu erringen. Und so nahm er nach langer Zeit wieder feste Speise, Reisbrei, zu sich und gewann seine frühere körperliche Kraft zurück. Zu jener Zeit hatten sich fünf andere Mönche, angezogen von seinem heroischen Bemühen, in der Nähe niedergelassen und bewunderten ihn als Vorkämpfer, den sie als Lehrer wählen wollten, wenn er sein Ziel erreicht haben würde. Sie wandten sich nun von ihm, indem sie sagten: `Üppig wird der Asket Gotamo, der Askese untreu, zugeneigt der Üppigkeit. Man muss sich vorstellen, dass es für Asketen keinen größeren Tadel gab als den, er sei dem Genusse verfallen und habe die Askese verlassen. So verlor der Bodhisattva hier auch noch die Verehrung und Anerkennung der Welt, die manchem Asketen eine Stütze, aber auch eine ebenso verborgene starke Fessel sein kann.

Aber bevor er jetzt konsequent die letzten Schritte seines Weges tun konnte. begegnete ihm noch jemand, Maro. Das Wort heißt wörtlich "Der Tod", bedeutet aber in den buddhistischen Texten auch das Prinzip des Bösen. Maro ist nicht der Totenrichter (das ist Yamo), und er ist nicht wie Luzifer als gefallener Engel der Gegenspieler eines Gottes. sondern er ist Satan, der Versucher, der Feind schlechthin, der Teufel (Diabolus = der Durcheinander-Werfer), der Herr dieser Welt und der Fürst der Höllen: Er ist letztlich die Verkörperung und die Summe aller "die Welt" hervorbringenden Triebe und damit die Verkörperung des Samsaro, d.h. der Leidenswelt. So ist er gegenüber allen die in der Gewalt des Herzens, in der Gewalt der Triebe sind, wahrlich der Mächtigste, wie er sich selber genannt hat.

Er war dem Bodhisattva gefolgt, um ihm möglichst vom Heil abzuhalten, und er tat alles, was in seiner Macht stand, um ihm Hindernisse in den Weg zu legen. Er führte an, dass man durch gute Werke viel mehr Verdienst erlangen könne. Er solle sein Leben nützen, solle etwas für die Welt tun. Der Bodhisattva erwiderte, er habe keine Verwendung für Verdienst. Wenn einer Verdienst nötig habe, dann sei es Maro, der Gesell der Lässigen. Schließlich verschwand Maro zunächst.

Über die praktischen Übungswege, die der Bodhisattva nun beschritt, besteht eine verwirrende Fülle von Schilderungen, die offenbar verschiedene Ansatzpunkte und Zugänge zu den erstrebten Entrückungen nennen. Diese Übungen lassen sich in etwa vergleichen mit der via purgativa (Läuterungsweg) und der via illuminativa, die in der Mystik aller höheren Religionen zu finden sind, dem Weg überweltlicher Erfahrungen.

Zusammengefasst kann man sagen, überwand der Bodhisattva die inneren Hemmungen, entfaltete überweltliche Lichterfahrungen und erlangte die vier Entrückungen, die ihn rief machten zum Durchbruch. Schon vor dem letzten und endgültigen Durchbruch erlebte er immer wieder einen Vorgeschmack der Freiheit durch das unmittelbare Wohl der Entrückungen. So näherte er sich dem Ziel.

 

Quelle: Hellmuth Hecker: Das Leben des Buddha.

 

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