Buddhist wird man durch freie Entschließung. Nicht durch Geburt, Rasse, Nationalität, nicht durch Weihe, Taufe oder sonst eine rechtsverbindliche Zeremonie, denn der Buddhismus besitzt weder die Gewalt einer Staatsreligion noch eine Hierarchie. Wer der Lehre des Buddha sich nachzuleben bemüht, ist ein Buddhist, mag er einer Buddhistengemeinde angehören oder nicht.

 

Der Buddha lässt in seinen gesamten Belehrungen erkennen, dass es für den Nachfolger nicht um Verzicht auf Freuden geht (oder um "Pessimismus"), sondern nur um den Verzicht auf Schädliches und Übles. Darum sagt er, dass der Nachfolger

  1. die fünf Tugendregeln im rechten Sinne einhält,
  2. seinen Lebensunterhalt auf ehrliche Weise erwirbt (dazu sagt der Erwachte ergänzend, dass der Nachfolger der Lehre fünf Arten des Handels nicht ausüben soll, nämlich Handel mit Waffen, Handel mit Lebewesen, Handel mit Fleisch, Handel mit Rauschmitteln, Handel mit Giften),
  3. mit seinem Besitz sich selber erfreut,
  4. seinen Nächsten, der Familie, den Verwandten, Freunden und Notleidenden mit seinem Besitz Freude bereitet.

Mit solchem Vorgehen kommt er auf den richtigen Weg. Und wenn ein solcher bei diesem Vorgehen öfter bedenkt, dass all diese Dinge hier zwar vorübergehend Freude bereiten, aber nicht von Dauer sind, dass es dagegen einen herrlichen Heilszustand gibt, der, wenn man ihn erlangt hat, nie mehr zerbrechen kann - wenn er so öfter bedenkt und danach sich richtet, dann ist er auf dem sicheren Weg.

Aber wenn ich sage: "Ich bin Buddhist", so bleibe ich doch ein Buddhist mit allen menschlichen Fehlern und Zweifeln und meinem westlichen Hintergrund.

Wir bekommen ja bekanntlich auf unserem Bildungsweg durch Schule, Akademie usw. keine Aufforderung zur charakterlichen Verbesserung und erst recht keine Hinweise auf die Fortexistenz und jenseitige Welt, sondern sind gewohnt, nur an die nächste Zukunft und höchstens bis an den Tod zu denken. Und selbst wenn wir durch die Besonderheiten unserer Familie religiös eingestellt sind und an das Jenseits denken, so haben wir doch wenig oder gar keine Erfahrung darin, wie langsam und wie nur sehr, sehr allmählich die Wandlung des eigenen inneren Wesens, des "Charakters", vor sich geht. Schon seit langer Zeit sind wir gewohnt, alles, was wir brauchen, zu "kaufen". Dabei legt man das Geld auf den Ladentisch und bekommt die Ware.

Doch etwas völlig anders ist es mit der Wandlung des Wesens, nämlich ein Wachstum. Das weiß der Erwachte, und das wissen die Menschen des Ostens ganz erheblich besser als wir. - Aber wir können es lernen. - Und dabei ist es eine große Hilfe, wenn wir in den Fällen, in denen wir mit unserer Verhaltensweise und der Entwicklung unseres Wesens unzufrieden sind, zunächst uns darüber freuen, dass wir durch die Lehre überhaupt erst wissen, worum es im Leben geht: dass das Geld uns nur in diesem körperlichen Leben hilft, danach aber hilft uns nur Gutsein und Weisesein, und das lernen wir durch die Lehre. Wie gehen doch die meisten Menschen durch ihre Tage bis zum Tode, und wie wären wir ohne die Lehre durch unser Leben gegangen, wohin wären wir dann gelang?

Eine Sorge, die viele ernsthafte Nachfolger der Lehre empfinden, liegt darin, dass trotz zunehmenden Verständnisses der Lehre die Triebe des Herzens noch wenig oder fast nicht verändert sind. Man sieht sich noch immer in der unguten Weise "wider besseres Wissen" handeln oder auch gerade nicht handeln, wo gehandelt werden müsste. Man beobachtet öfter, dass das Gemüt von Ärger verdunkelt, von Eigenwillen verzerrt ist und dass man erst viel später aus dieser Dunkelheit wieder herauskommt. Manchmal kommt man sich gar schlechter vor als früher, bevor man die Lehre so gründlich und praktisch kannte.

Paul Debes schreibt zu diesem Problem sehr oft ermutigende Worte, hier einige Zitate:

"... ein weiterer hilfreicher Gedanke ist für mich der folgende gewesen: Ich habe die üblen Eigenschaften, die mir anhaften, nicht erst seit gestern. Ich komme aus einem unübersehbar langen Samsara, und da sind diese Eigenschaften im Laufe der Zeit allmählich entstanden. Viele Male hatte ich unvergleichlich schlechtere, aber auch wieder bessere, und nur weil die endgültig rechte heilende Anschauung fehlte, die den Weg wies zu dem "Nichtgewordenen", darum bin ich im Laufe der Zeiten immer wieder abgesunken, und darum finde ich mich letztens heute so vor, wie ich bin. Ich kann nicht erwarten, dass diese Eigenschaften in wenigen Jahren aufgehoben sind. Darum ist für mich jetzt wichtiger als alle Klage und Trübnis, dass ich mich dranhalte und immer deutlicher nach den besten Wegen suche, die zur Auflösung der üblen Antriebskräfte führen.

Bei solchen Gedanken hat mir früher das Wort von Wilhelm Raabe geholfen:

"Sieh nach den Sternen und hab Acht auf die Gassen."

Das heißt auf die Lehre angewandt: Denk an das Endziel, das in der endgültigen und ewigen Befreiung von dem unendlichen Leidensmaß liegt, in dem wir bisher blind befangen waren. Denk daran, dass es das Heile gibt, führ dir den Weg in seinen Etappen deutlich vor Augen. - Das bedeutet für mich "Sieh nach den Sternen."

Aber dies allein, nur nach den Sternen zu sehen, ist nicht die Hälfte der Bemühungen, sondern nur ein Zehntel. Erst wenn wir "Acht haben auf die Gassen", in welchen wir uns ja praktisch befinden, wenn wir hier auf Schritt und Tritt Acht haben, dass wir in unserer Gasse vorwärtskommen, dann erst besteht die Aussicht, dass wir zum Marktplatz gelangen, von dort auf die Hauptstraße gelangen und auf der Hauptstraße zum Stadttor kommen und dann die Landstraße weiterziehen bis in die Vorgebirge und dann die Gebirge ersteigen... Wenn wir auf die Gassen, in welchen wir uns bewegen, nicht Acht haben, dann kommen wir nicht hinaus, und dann bleibt der Blick nach den Sternen vergeblich.

Darum muss heute in unserem Alltag die Kleinarbeit geleistet werden. Diese Kleinarbeit besteht darin, dass wir unsere Hauptschwächen, auf die wir im Alltag immer wieder stoßen, systematisch und beharrlich angehen. Wir müssen unsere Aufmerksamkeit so sehr darauf konzentrieren, dass wir bei unserem Reden oder bei unserem Handeln schon selber merken, wenn die Schwächen wieder zum Zuge kommen und uns beeinflussen wollen, und wir müssen dann entweder abbrechen oder uns umlenken zum Besseren oder wenigstens hinterher bei dem Betreffenden wiedergutmachen, was durch die Schwäche ungut wurde. Es muss uns unser inneres Hellerwerden über allem anderen stehen, es muss uns wichtiger sein als die Geltung vor anderen.

Das nachträgliche Zähneknirschen und Betrübtsein allein hilft fast nichts, wenn wir nicht aktiv das unternehmen, was an dem angerichteten Schaden möglichst viel wieder gutmacht. In erster Linie also ein offenes Bekenntnis dem Betreffenden gegenüber. Das gibt sofort schon eine Entspannung, womit die Beklemmung und betrübte Reue aufhört, und es gibt eine größere Wachheit für die Zukunft...

...Wenn man sich in neutralen Zeiten immer wieder der rechten Anschauung der Dinge erinnert - etwa dass alles Ankommende Ernte aus früherem Tun ist, dass das eigene Herz eine so erscheinende Welt entwirft und dass nur eine Änderung des Herzens Helleres erleben lässt - dann besteht man irgendwann alle Widerstände - mehr noch: sie sind keine Widerstände mehr, weil das Herz heller geworden ist...

...Wir alle unterschätzen am Anfang ganz erheblich, was da zu tun ist und wie lange es dauert, bis es getan ist. Die Wandlung des Herzens in allen seinen Trieben ist eine Sache des Wachsens und nicht eine Sache des Bauens. Und jedes Wachstum ist in keiner Weise zu fördern durch Hochziehen der Halme, sondern nur zu fördern, indem man Licht, Wärme und Feuchtigkeit an die Pflanze lässt. So geschieht das Wachsen nach eigenem Gesetz - und so ist es auch mit uns."