Es sind vom Erwachten drei Dinge genau erklärt worden, wobei wir alle übereinkommen und nichts zu verändern brauchen. Welche drei?

Dreierlei Triebflüsse: der Triebfluss der Sinnlichkeit, der Triebfluss des Werdeseins, der Triebfluss des Unwissens.

  

Asava bedeutet wörtlich "drängendes Fließen". Diesen Begriff gebraucht der Erwachte für das drängende Wollen in allen Lebewesen einerseits (Fließen/Drängen) nach außen und für die den Lebewesen wiederum andrängenden Wahrnehmungen (Einfließen). Aus diesen beiden Flüssen (asava) besteht das, was wir unser "Leben" nennen: Wollen und Wahrnehmen.

Je nach der Stärke der Triebe (Anziehung; Abstoßung) sind die Gefühle und Wahrnehmungen. Diese drängen sich auf, dringen ein, fließen ein, beeinflussen. Das Wollen, das Spannungsfeld der Tendenzen, das ist die Verletzbarkeit, Beeinflussbarkeit. Weil es den Empfindungssuchtkörper (gebildet durch die sechs Sinnesdränge) gibt, darum sind die herankommenden, zur Berührung kommenden Formen, Töne, Düfte, Säfte, Tastobjekte, Gedanken - Einflüsse.

Die eine Wahrnehmung mag die Wesen angenehm berühren, die nächste entzücken, die dritte mag sie unangenehm berühren, die vierte erschrecken, die fünfte entsetzen; eine weitere mag sie wieder beglücken und so fort. Da der Mensch die Bedingungen für die jeweils aufkommenden Wohl- und Wehgefühle nicht durchschaut, so bleibt er an diejenigen Wahrnehmungsinhalte gefesselt, bei denen er Entzücken und Entsetzen empfindet, fühlt sich bald auf der Höhe des Lebens, bald in tiefer Verzweiflung, bald von Hoffnung erfüllt, bald von Enttäuschung gelähmt und glaubt sein Leben lang, äußeren Dingen nachrennen zu müssen, um von Mangel und Leid zu Wohl zu kommen. Wie ein Boot von den Wogen des Meeres herumgeworfen wird, wie es sich bald auf den Wogenkämmen befindet und bald wieder herabgeschleudert wird in ein Wogental, so kann der Mensch mit solcher falschen Anschauung, solchem Wahn, auf Grund seiner Beeinflussbarkeit nicht frei werden von Einflüssen, nicht frei werden von Erschütterung, nicht frei werden von Leiden.

Der Erwachte nennt drei Arten von Wollensflüssen oder Triebflüssen je nach entsprechenden Wahrnehmungen/Einflüssen:

  • Der Triebfluss der Sinnlichkeit (kamasava)

Durch die Bejahung dieses Triebflusses ist das Erlebnis der gegenwärtigen Sinnenwelt gewirkt und werden auch die künftigen Sinnenwelten gewirkt.

Er umfasst einen kaum vorstellbaren, riesigen Bereich, nämlich alles, was im Bereich der fünf Sinne des Körpers und ihrem Gegenüber, den fünf Sinnesobjekten liegt. Dazu gehören auch als Entsprechungen die fünf Sinnes des Astralleibes mit Unter- und Überwelten. Die gesamte Sinnenwelt hat zehn große "Etagen", von denen wir gewöhnlich nur die Menschen- und Tierwelt kennen. Kamasava ist überall dort, wo ich etwas von außen begehre und dessen Verhinderung verabscheue.

  • Der Triebfluss des Werdeseins (bhavasava)

Die Beeinflussbarkeit durch Seinwollen, Weitersein-Wollen, So-sein-Wollen. Zum Beispiel: "So wie es jetzt ist, soll es weiter sein", oder auf Grund moralischer Tendenzen: "Ich möchte mich zum Hellen entwickeln usw." Der Trieb zum Seinwollen ist hier tiefer als üblich zu verstehen. Der Trieb, anerkannt zu sein und der Trieb, gut zu sein, gehören nicht zu diesem tieferen Seinwollen.

  • Der Triebfluss durch Wahn/Unwissen (avijjasava)

Die Wahn-Neigung ist die wahnhafte Neigung, das Wahrgenommene als außerhalb der Wahrnehmung, als wirklich seiend aufzufassen, das von einem wirklich bestehenden Ich erfahren wird: "Ich habe diese schöne Sache gesehen, also gibt es sie."

Bei verschiedenen Aufzählungen innerhalb der Lehrreden werden vier Triebflüsse genannt. Der vierte Triebfluss ist

  • Der Triebfluss der Ansicht (ditthasava)

Die Struktur der Existenz zeigt, dass Ansicht (ditthi) ein unverzichtbarer vierter Baustein der Psyche und des Erlebens ist.


Diese vier Dinge (Sinnlichkeit, Werdesein, Ansicht, Unwissenheit) beinhalten die abstrakteste Formulierung von sämtlichen Möglichkeiten der Triebhaftigkeit. Existentiell gesehen, gehen sie weit über die uns geläufigen konkreten Einteilungen der Triebe (Geschlechtstrieb, Selbsterhaltungstrieb, Machttrieb usw.) hinaus.

Bei dieser Vierheit lässt sich als Ordnungsprinzip zuerst und am deutlichsten die Zeit erkennen. Der Erwachte sagt nämlich immer wieder, dass alle fünf Daseinsfaktoren (Aneignungen, khandha) wenn sie jeweils unter fünf Gesichtspunkten oder Ordnungsprinzipien betrachtet werden. Als erste dieser Kategorien nennt er die Zeit, d.h. nicht als Abstraktum, sondern existentiell als Vergangenheit, Zukunft, Gegenwart, d.h. betont abweichend von der allgemein gewohnten Reihenfolge. Der gesamte samsara ist damit zu erkennen, während das nirvana jenseits aller khandha und aller Kategorien ist.

Die Gegenwart als die unmittelbar zugängliche Zeitform erscheint zwiefach, nämlich körperlich (Triebe in den fünf Sinnen) und geistig (Triebe in der geistigen Vielfalt des 6. Sinns):

Die körperliche Gegenwart liegt uns am nächsten, und darauf bezieht sich der sinnliche Triebfluss sowie die Sinnlichkeit bei den anderen Triebarten. Ohne Triebfluss wäre niemand Mensch geworden, auch nicht der Bodhisattva. Alle unter- und übermenschlichen Sinnentriebe sind darin einbegriffen.

Dabei ist es notwendig, sich über die Sinnesobjekte zu orientieren, was schon mit dem ersten Atemzug beginnt. Auf den Bahnen der fünf Sinne fließt uns dauernd etwas an. Woher kommt es? Das ist die real vorliegende Vergangenheit. Darauf basiert der Triebfluss der Ansicht; diese bezieht sich auf Vorgehendes und Vorliegendes am Tor der Gegenwart.

Der Triebfluss des Werdeseins ist auf  Zukunft gerichtet. Es ist der Trieb nach Werden, Weitersein, ist Sehnsucht nach Verbesserung, mehr Sicherheit, mehr Wohl. Im Grunde ist es ein Zug und Drang nach Himmlischem, Göttlichem, eben nach Höherem.

Der Trieb aller Triebe aber ist der Triebfluss des Nichtwissens/Wahns, das den Samsara als Wert aller Werte und einzige Realität wähnt in der all-gegenwärtigen Dualität von Ich und Welt. Das ist die zweite Gegenwart, die im Geiste. Diese tiefste Gewohnheit ist so fest eingefahren, dass es uns schwerfällt, sie überhaupt als Trieb zu erkennen. Diese Gegenwart beinhaltet aber auch die Möglichkeit, die Zeitlosigkeit des Nirvana zu erfahren.

Den unbelehrten Menschen, der von der Welt seine Freuden erwartet (asava = drängendes Fließen nach außen) und darum auch seine Leiden von der Welt erfährt, vergleicht der Erwachte mit einem Haufen feuchten Lehms und vergleicht die Erlebnisse, die der unbelehrte Mensch tagtäglich erfährt, mit Steinen, die in den Lehmhaufen geworfen werden und darum in ihn eindringen. Dagegen vergleicht der Erwachte den Geheilten, der das erlösende Klarwissen und das vollkommene Wohl erlangt hat, so dass er von der Welt überhaupt nichts mehr erwartet, mit einer Eichenbohle und die an ihn herantretenden Erlebnisse nur mit Wollknäueln, die gegen die Eichenbohle geworfen werden, nur eben zart auftreffen, aber nie mehr verletzen, nie mehr Einfluss nehmen können. So erfährt zwar auch der Heilgewordene die Rückkehr seines früheren absichtlichen Wirkens, aber sein Dauerzustand ist heller Gleichmut, und so nimmt er die ankommenden Erlebnisse nur eben zur Kenntnis, aber sie können Herz und Gemüt nicht bewegen, sind keine Einflüsse, weil Beeinflussbarkeit aufgehoben ist.

(Quellen: Paul Debes - Begriffe der Buddha-Reden mit Erklärungen; Hellmuth Hecker - Die Psychologie der Befreiung.)