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Das Ziel der Buddhisten ist Erleuchtung, lesen wir häufig. Oder besser gesagt Erwachung. Oder noch besser: Nirwana. Diese Aussage ist nicht falsch, aber auch nicht ganz richtig.
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Exakter ausgedrückt müsste es heißen: Das Ziel der Buddhisten ist es, die Garantie zu erlangen, unumkehrbar und unaufhaltsam in die Heilsströmung zum Nirvana einzutreten. Der Stromeintritt (sotapatti) besteht darin, nie mehr in untermenschlichen Daseinsformen wiedergeboren zu werden, d.h. als Gespenst, als Tier, in der Hölle. Da alles Streben der Wesen sich darauf richtet, Leiden, Unglück, Wehe, Schmerz, Traurigkeit zu vermeiden, so ist das Nahziel, wenigstens von diesen größten und gröbsten Leiden befreit zu werden, und zwar endgültig. Dem Stromeingetretenen stehen nur noch zwei Daseinsformen in höchstens sieben Wiedergeburten bevor: Menschentum oder sinnliche Götterwelt (deva). Und wenn er einmal Deva geworden ist, kann er auch nicht wieder in Menschentum absinken. Es gibt für ihn keinen Rückfall in Niederes und Überstandenes, so wie aus einem Topf ausgegossenen Wasser nie wieder in den Topf zurückfließt oder wie ein Feuer nicht wieder zur Asche zurückkehrt. Sotapatti wird auch mit "Hörerschaft" statt mit "Stromeintritt" übersetzt. Das Wort `sota` im Pali kann sowohl Strom als auch Gehör bedeuten. Die Lehre wird ja durch die "Stimme eines anderen", des Erwachten, zu uns gebracht. Und der Hörer dieser Stimme wird dann "aus dem Mund geboren", nämlich aus dem Munde des Buddha. So wird er zum Hörenden des Edlen, des Heils, der dem Buddha gehorcht, indem er auf ihn hört. Die Bedingungen, Eigenschaften zur Gewinnung des Stromeintritts bzw. der Hörerschaft sind vier:
Dies bedeutet zuallererst, überhaupt auch nur die Möglichkeit zu haben, der Lehre des Buddha zu begegnen und ihr nachzufolgen, wozu schon ein beträchtliches Maß an Vorleistung auf dem Gebiet der Tugend-Reinheit in früheren Leben erforderlich ist. Man muss diejenigen Mindesttugenden gepflegt haben, die einen normales Menschentum erreichen ließen, und dazu noch ein solches mit normalen Sinnen und intakter Verstandesfähigkeit. Ferner muss man die Tugenden des Nichtschadens so weit geübt haben, dass man nicht schon als Kind stirbt, sondern mindestens dasjenige Alter erreicht, das einen zur Aufnahme der Lehre befähigt. Nicht minder wichtig ist aber auch, dass man sich durch früheren rechten Umgang mit Weiseren die Begegnung mit der Lehre erwirkt hat. "Gar selten trifft man in der Welt ein auferwachtes Angesicht". Viele, viele Weltzeitalter erscheint überhaupt kein Vollkommen Erwachter, der die Lehre verkündet. Und die vom Erwachten genannte Bedingung, dass man "die Stimme eines anderen", nämlich eines Heilsgängers hören muss, setzt für uns heute noch voraus, dass wir die Lehrreden des Buddha in einer uns verständlichen Sprache übersetzt zugänglich haben. Und in der Regel ist auch noch ein Lehrer der Lehre erforderlich, der einem in der eigenen Sprache den Inhalt aufbereitet und Brücken über Zeit und Raum schlägt. Dies alles muss man sich durch frühere Tugenden erwirkt haben. Der Erwachte nennt dann in der Entwicklungsfolge, in der ein Mensch mit relativ reiner Herzensart der begegnenden Lehre innerlich immer näherkommt. Er behält die Sätze im Gedächtnis, erinnert sich an Kernaussagen. Er reagiert auf die aufgenommene Weisheit, setzt sich mit ihr auseinander, prüft und vergleicht kritisch und aufmerksam. Er betrachtet im inneren Zwiegespräch den Sinn des Gehörten. Dann billigt er den Lehranblick, erkennt ihn nach Prüfen als richtig an, duldet die Maßstäbe und Werturteile des Erwachten, auch wenn sie seinen Trieben mehr oder weniger widersprechen. So wird nun der Wille zur Nachfolge geboren. Die mit der Wirklichkeit der Existenz übereinstimmende Anschauung gewinnt jetzt ein Übergewicht. Daraufhin beginnt der "rechte Wandel" in Gedanken, Worten und Taten, also zunächst vor allem der Tugendregeln. Unter der persönlichen Belehrung durch den Buddha oder seiner Heiligen erlangte der Zuhörer oft sofort den Stromeintritt. Da eine solch günstige Situation heute selten gegeben ist, muss erst der Pfad zum Stromeintritt gefunden und betreten werden. Einen solchen nennt der Erwachte: Einen, der unterwegs ist, die Frucht des Stromeintritts zu verwirklichen. Wer in voller Konsequenz die "fünf Aneignungen" (khandas) erkennt, der wird ein Nachfolger. Der Nachfolger (anusari) hat den Weg betreten. Er ist nun unterwegs, die Frucht des Stromeintritts zu vollenden. Es wird zwischen zwei Typen unterschieden, dem "Vertrauend-Nachfolgenden" (saddh'anusari), es heißt, er vertraue der Lehre und neige sich ihr zu, und dem "Weise-Nachfolgenden" (dhamm'anusari), er hat die vom Vollendeten aufgezeigten Dinge weise allmählich betrachtet. Bei ihm ist die Weisheitsfähigkeit stark entwickelt. Der Buddha sagt über den Anusari: "Unfähig ist der Anusari, eine Tat zu begehen, derzufolge er in der Hölle, im Tierschoß, in der Gespensterwelt geboren werden könnte, unfähig ist er abzuscheiden, bevor er die Frucht des Stromeintritts verwirklicht hat." Das bedeutet, der Nachfolger (anusari) kann, ja muss zum Stromeingetretenen (sotapanna) werden, wobei von den insgesamt zehn Fesseln der Wesen an leidiges Vergängliches er die ersten drei dann restlos aufgelöst hat: 1. Die Fessel der Ansicht von Seinsdarstellung (sakkaya-ditthi-samyojana). Der gewöhnliche Mensch glaubt eines felsenfest, nämlich an "Ich bin in der Welt". Er hat die zweifelsfreie Gewissheit, als persönliches Subjekt den äußeren Objekten gegenüberzustehen. Beides erlebt er als wandelbar, aber die Tatsache, dass Welt und Ich existieren, ist ihm "todsicher". Und: "Wenn ich sterbe, bin ich vernichtet, doch die Welt geht weiter". Religiöse Menschen dagegen glauben bei uns, eine den Tod überdauernde Seele zu haben, der dann ewige Seligkeit oder ewige Verdammnis bevorsteht. Der edle Jünger des Buddha aber hat erkannt, dass - wie auch immer Ich (Persönlichkeit) und Welt (Kosmos) beschaffen sein mögen - alle solche Seinsdarstellung von Ich und Welt an einem einzigen Faden hängt, am jeweiligen Bewusstsein, von ihm entworfen, wie ein Traum. Wo die vier Heilswahrheiten und die Konsequenz, die völlige Leidensauflösung, wirklich einschlägt und gleichzeitig der Traum von einem Ich, das im Leidenskreislauf herumirrt, erkannt wird, löst sich diese Fessel. Welche Erleichterung und Wohltat ist es alleine schon, den Glauben aufgelöst zu haben, ein Ich in der Welt verteidigen zu müssen und es dauernd gefährdet zu sehen. 2. die Fessel des Zweifelns (vicikicca-samyojana). Es heißt, dass derjenige nun "zweifelsentronnen", dem Grübeln entgangen ist z.B. über Fragen wie: Gibt es vielleicht doch eine Welt unabhängig von mir? Müsste da nicht ein Welt-Schöpfer sein? Wird im Nirvana das Ich vernichtet, oder bleibt dort ein Ichkern? Aber der Wahrheitssucher zweifelte etwa daran, je die Wahrheit im Dschungel der Meinungen zu finden oder sogar daran, ob es überhaupt eine letzte Wahrheit über die Existenz gibt. Zwischen Hoffnung und Verzweiflung pendelnd, lebte er unglücklich und ruhelos, ohne Sicherheit umherirrend. Solche Zweifel verschwinden allmählich mit dem immer klareren Sehen der Bedingtheit aller Phänomene durch das jeweilige triebhafte Bewusstsein. Die zeitweilige Furcht, ein Ich zu verlieren, das Nirvana als Vernichtung anzusehen und daher davor zurückzuschrecken, verschwindet im Lichte der Wahrheit und macht einer stillen Geborgenheit Platz, die garantiert wird durch die Trinität von Buddha-Dhamma-Sangha. Die erweisen sich als das einzig Wertvolle der Existenz und bewirken Zweifelsentrinnung. 3. die Fessel des falschen Einschätzens von Tugendwerk (sila-bata-paramasa-samyojana). Diese Fessel ist komplexer als die anderen. Man kann sagen, daß die Gefahr besteht, die Gewöhnung an die Sila, die Tugendregeln, welche ja ein wichtiges Programm auf dem Weg zur Erwachung darstellen, überzubewerten bis hin zum Fanatismus und Fundamentalismus. So wie der evangelische Mystiker Tersteegen treffend dazu sagt: "Wer alles Unrechte in der Welt recht haben und bessern will, der verwickelt sich nur in viele Unruh und Zerstreuung und bringt oft weder sich selbst noch andern Nutzen." Diese Fessel wird ebenfalls durchschaut und überwunden. Es geht aber auch darum, die Tugend nicht zu unterschätzen, was heute im Abendland wohl noch mehr der Fall ist. Völlige Unterschätzung der Tugend ist die Unterschätzung der eigenen Triebe und Unterschätzung des Gewichts, welches der Erwachte auf die Tugend legt, für Laien und Mönche. Die charakteristischen Eigenschaften eines Stromeingetretenen sind vier: Unerschütterliches Vertrauen zum Erwachten, zur Lehre und zur Jüngerschaft der Edlen sowie vollkommene Einhaltung der Tugendregeln. Das erste der vier Merkmale bedeutet, dass der Mensch nach den Worten des Erwachten im Laufe der Zeit "endgültige Klarheit und Befriedung" darüber erlangt hat, dass der Erwachte tatsächlich ein Heilgewordener ist und vollkommen erwacht. Es geht ja nicht um ein einfaches Vertrauen oder um einen Glauben, dass der Erwachte so sei, wie die Eigenschaften es beschreiben, vielmehr hat der Mensch auf dem Wege seiner inneren Entwicklung zum Heilsgänger mehrere geistige Veränderungen und Erfahrungen durchlaufen, die ihn nun erst zu diesem sicheren Urteil, ja, Wissen, befähigen und ebenso zu dem folgenden: der endgültigen Klarheit und Befriedung über den vollkommenen Heilscharakter der Lehre, dem zweiten Merkmal. Klarheit und Befriedung hat ein Heilsgänger, wenn er durch die Unterweisung des Erwachten zunächst Vertrauen gewonnen hat, daraufhin seine seelischen Vorgänge mit zunehmender Aufmerksamkeit beobachtet hat und dadurch im Leben nach der Lehre in innerer Erfahrung die Bestätigung für die Grundaussagen des Erwachten gewonnen hat. Weil diese Erkenntnis auf innerer Erfahrung beruht ist diese Gewissheit unzerstörbar, weil sie in der gesamten weiteren Entwicklung sich nur immer mehr bestätigt. Das dritte Merkmal bedeutet, dass der Heilsgänger sich aus der langjährigen Erfahrung mit sich selber unverlierbar klar geworden ist über die vom Erwachten erwähnten "vier Paare von Menschen" , d.h. über die vier Entwicklungsetappen des Heilsgängers: Stromeingetretener, Einmalwiederkehrer, Nichtwiederkehrer, Geheilter. Das ist möglich, wenn er durch eigene Erfahrung bei seiner Umwandlung zum Heilsgänger zutiefst begriffen hat: In allen möglichen Daseinsformen und Welten führen nur diese vier Entwicklungsetappen aus dem Leiden schrittweise heraus bis zur vollständigen Geborgenheit. Das vierte Merkmal ist gegeben, wenn ein solcher Heilsgänger, welcher das Endziel, das Nibbana, immer im Blick hat, in seinem gesamten Verhalten im Begegnungsleben allmählich dahin wächst, die Tugenden lückenlos einzuhalten, in rücksichtsvoller, schonender Weise zu handeln und zu reden, ohne auf karmische Folgen daraus in dieser oder jener Welt zu setzen, sondern über alles Begegnungsleben hinaus die Herzenseinigung (samadhi) anstrebt, aus deren Vollendung eben jenes heilende Klarwissen hervorgeht, das zum Nibbana führt. Die Frucht des Stromeintritts besitzen und deren Reife erkennen, sind zwei Dinge. Wer sehr vorsichtig und gewissenhaft ist, wird dazu länger brauchen; der Voreiligere und Leichtgläubigere könnte an diesen Besitz glauben, bevor er wirklich eingetreten ist.
Aus einer Diskussion mit Paul Debes: Hörer: Unser Ziel ist ja nicht, immer tugendhafter zu werden, sondern das Ziel ist die Erlösung. Kann man nicht sagen, dass Meditationsübungen und Tugend Anzeichen für die Nähe zur Erlösung oder die Ferne von der Raum– und Zeit– Gebundenheit sind? Debes: Die rechte Anschauung muss als erstes vorhanden sein. Wer aus christlicher Anschauung Tugend übt, übt Tugend mit einer ganz anderen Grundhaltung, ebenso ein weltlicher Mensch, z.B. ein Stoiker von der philosophischen Richtung der Stoa. Die Stoiker, Schüler des Zenon, setzten seiner Lehre gemäß ihren Stolz in Unempfindlichkeit gegen Schmerz und völlige Gleichmütigkeit gegenüber allen Einwirkungen. Sie sagten, es sei des Menschen unwürdig, sich um einer Kleinigkeit willen aufzuregen, z.B. wenn sie ihr Vermögen verlieren usw. Das ist eine edle, aber eine weltliche Haltung, es ist keine Tugend mit dem Ziel, aus dem ganzen Daseinswandel heraus zu kommen. Darum muss man die Anschauung, die der Erwachte vermittelt, zuerst erwerben. Man muss, um die Tugend oder auch die Vertiefung zur Befreiung benutzen können, die Aussagen des Erwachten lesen, die die Vergänglichkeit und die Nicht-Ichheit der fünf Zusammenhäufungen beschreiben und begründen, damit man den wahrheitgemäßen Anblick gewinnt. Wenn man dann dadurch einen tieferen Anblick hat, in dem man sich freier fühlt, dann versteht man die fünf Zusammenhäufungen tiefer. Dann tritt das ein, was man Klarblick (vipassana) nennt, dann hat man für einen Augenblick fast Unverletzbarkeit erlebt, die Befreiung von allem Vergänglichen. Bei dem auf Befreiung gerichteten Menschen löst das eine Sehnsucht nach endgültiger Befreiung aus. Und wenn dieser „lichte Moment" endet, dann merkt er: „Jetzt bin ich wieder in allen Verstrickungen. Wenn ich doch herauskäme!" Wenn er dann wieder die Aussagen des Erwachten hört oder liest, wird ihm bewusst, dass die üblen Gesinnungen, aus denen untugendhafte Handlungen hervorgehen, ihn immer wieder hinreißen. Er gewöhnt sich daran, auch wenn Ärger in ihm aufkommt, nicht ärgerlich zu reagieren in dem Wissen: „Wenn du ärgerlich reagierst, schaffst du dir ärgerliche Reaktion der anderen, und dann entsteht Wirbel, und in dem Wirbel kommst du nicht zur Vertiefung. Wenn du dich aber tugendhaft verhältst, wird es zwischen dir und den anderen Menschen heller, es entsteht die sanfte Begegnung, es wird alles stiller. Dann hast du mehr Muße, dich zu besinnen, und innerlich bist du weniger verdunkelt." Der Erwachte sagt: Wenn jemand untugendhaft, übel handelt und dann einmal für sich eine stille Stunde hat und sich tiefer besinnen will, kommt stattdessen das mahnende Gewissen über ihn, das Denken an die üblen Dinge, die er getan hat. Der Erwachte sagt, dass solche Gedanken aufsteigen, ist gut, dann hat er die Gelegenheit, das Getane zu bereuen und innerlich davon Abstand zu nehmen. Aber besser wäre, er hätte es nicht getan, denn dann erführe er diese feine Vertiefung, von der wir sprechen. Tugendliches Verhalten fegt die Bahn frei. Dann kann man an die unmittelbare Reinigung des Herzens gehen. Darum spricht der Erwachte von in Tugend ausgediehener Vertiefung (D 16). Das bedeutet aber natürlich nicht, dass man zuerst hundertprozentig in Tugend werden soll und bis dahin alle Vertiefungen ängstlich meiden soll. Alles, was uns helfen kann, müssen wir heranziehen als Hilfe. Nur müssen wir wissen: Je breiter die Basis der Tugend ist, umso breiter kann Vertiefung aufgebaut werden. Je breiter und umfassender die Tugend ist, um so mehr kann Weisheit daraus erwachsen. Je breiter und umfassender die Weisheit ist, um so mehr kann daraus die letzte endgültige Ablösung erwachsen. Der Erwachte sagt, wenn wir die breite Basis eines reinen sittlichen Lebens geschaffen haben, dann sind uns verschiedene üble Dinge durch unsere innere Art und Gewöhnung ganz unmöglich geworden. Auf dieser Basis kann man sich dann um Vertiefung bemühen. Aber wiederum darf man das nicht so auffassen: Erst muss unter völliger Ignorierung aller Vertiefung die breite Tugendbasis angebaut werden, dann erst kann man mit Vertiefung beginnen. Es ist nur gemeint: Die Basis der Tugend soll immer breiter sein als die Vertiefung. Indem wir uns im Alltag mehr darum bemühen, in allen Situationen an uns zu halten, dann können wir an den Tagen auch eine Stunde des inneren Stillwerdens erleben. Je mehr man eine sanftere Begegnung im Umgang mit den Mitmenschen erwirbt, auch in der Gesinnung nicht so schnell ungut reagiert, um so mehr kann man seine ganze Kraft der Vertiefung zuwenden, und die Vertiefung gelingt dann viel besser. - Das ist der sichere Weg, den der Erwachte zeigt und den Sie in allen Lehrreden bestätigt finden. Hörer: Ich würde sagen: Alles Tun im kausal bedingten Bereich kann wohl vorbereitenden Wert haben, aber es bringt mich keinen Schritt näher zur Befreiung von Trieben, weil es eben kausal abläuft. Und wenn ich Sehnsucht nach dem Erlebnis der Vertiefung habe, so liegt das Ersehnen dieses Erlebnisses auch im bewegten, kausalen Bereich und verhindert dadurch die Vertiefung. Ich würde sagen, das Einzige, das einen Schritt näher an die befreiende Situation heranbringt, sind nur akausale, nicht bedingte Erlebnisse, die nur in einer Meditation vorhanden sind, in der kein Denken und auch kein „Ich möchte jetzt das und das Erleben" geschieht. Debes: Und wie kommen Sie zu dem Erlebnis? Wir sind ja im kausalen Bereich, den wir zwar verlassen können, aber wir müssen mit kausalen Mitteln herausgehen. Hörer: Das wird auch nicht bezweifelt. Debes: Das haben Sie aber gemeint. Ich hätte mit Kausalmitteln immer nur wieder neue Bedingungen gesetzt. - Ihr Geist, in den auch die Lehre des Buddha hineingekommen ist, hat gesagt: Ich kann nur frei werden, wenn ich alles Kausale entlasse. Dass der Geist das sagt, ist auch kausal bedingt. Er hat es durch Belehrung von anderer Seite aufgenommen. Dann sagt der Geist weiter: Die fünf Zusammenhäufungen sind der Kausalkreis, der Kausalnexus, der unendliche Zirkel. Es gilt nun, einen Frieden nicht zu schaffen, sondern durch Nichtergreifen der fünf Zusammenhäufungen bleibt Frieden übrig, der jenseits aller Kausalität ist. Damit finden Sie das Nichtkausale mit kausalen Mitteln. Es geht nicht anders. Sie müssen die kausalen Mittel anwenden. Der erlebte Friede führt zu der kausalen denkerischen Konsequenz: Ich will einerseits versuchen, so oft wie möglich, wenn stillere Stunden sind, alles Kausale beiseite zu tun. Dann bleibt der Friede übrig. Aber da das Kausale eine Kraft hat, die sich der Psyche aufdrängt, Zeit und Raum heranpresst und so Bedingungen schafft, so will ich auch sorgen, dass ich innerhalb des Kausalen für dessen Linderung sorge, dass das Erlebte allmählich immer weniger brennt. In diesen beiden Weisen will ich vorgehen: Öfter in stillen Stunden, in denen das Kausale weniger drängt, es mit Wahrheitsgegenwart und Klarblick ganz beiseite tun, dass der Friede übrig bleibt. Aber wenn wir ehrlich gegen uns selbst sind, werden wir zugeben müssen, dass wir nicht eine halbe Stunde in dieser Verfassung bleiben können. Der Tag hat aber ungefähr sechzehn Stunden des Wachseins. In denen kann ich im Bereich des Kausalen dazu beitragen, dass Tugendregeln eingehalten werden, die Gesinnung heller wird, so dass ich dadurch immer leichter den Frieden gewinnen kann. Man kann den Kausalzusammenhang vergleichen mit Geräuschen — und das Nibbana vergleichen mit der Stille. Alle Geräusche entstehen durch Bedingungen, aber die Stille entsteht nicht durch Bedingungen. Die Stille entsteht nicht. Die Stille ist gerade, wenn keinerlei Bedingungen eintreten. Wir können sagen, die Stille ist immer. Sie ist auch jetzt unter den von uns verursachten Geräuschen. Stille ist ja durch nichts bedingt. Aber da immer Geräusche sind, also immer Ursachen für Geräusche sind: unser Reden, unser Herzschlag oder was man auch immer nehmen will, so merkt man nicht die Stille. Die erste Schicht, die die Stille überdeckt, ist die Gesamtheit der Triebe. Unser Geneigt sein schmeckt alle sinnlichen Eindrücke ab und empfindet etwas Wohltuendes als angenehm, weil die Triebe es so empfinden. Tritt etwas Entgegengesetztes ein, wird es von den Trieben als unangenehm empfunden. Die zweite Schicht, die die Stille überlagert, ist das Aufkommen von dunklen Gesinnungen, von Ärger, Zorn, Verdruss usw., wenn sinnliche Wahrnehmungen von den Trieben her als unangenehm beurteilt werden. Das sind noch gröbere Geräusche, die als zweites die Stille überdecken. Eine dritte überlagernde Schicht besteht in der Reaktion im Reden und Handeln, im Tat- und Wortbereich. Sie ist noch wilder und wüster, noch gröbere Geräusche sind dort, die die Stille verhindern. Solange wir die starke Gewöhnung haben, von den Trieben her auf Erlebnisse mit Gefühl zu antworten, und dann in der Gesinnung begehrlich, verdrossen werden usw. und dann entsprechend der Gewöhnung im Reden und Handeln gleich ein böses oder ungutes Wort zu sagen, so lange hindern uns diese starken drängenden Wogen, die Stille zu erfahren, und darum muss man sie abschichten. Wenn sie abgeschichtet sind, kann man die Stille erfahren. Es geht letztlich darum - darin sind wir uns alle einig -, das Unbedingte zu gewinnen. Aber die Schritte zum Gewinnen des Unbedingten sind gerade durch Bedingtes bedingt. Wenn es keine Bedingungslosigkeit gäbe, dann gäbe es keinen Ausweg, und wenn es keine Bedingtheit gäbe, dann könnten wir zum Bedingungslosen nicht hinkommen. In der Bedingtheit, in der wir leben, schaffen wir die Bedingungen, bis an den Rand des Bedingungslosen zu kommen. Und dann entlassen wir die letzte Bedingung, wie es der Erwachte schildert.
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