In der Lehre des Erwachten finden wir kaum Ratschläge zur Kindererziehung. Der Buddha brauchte darüber nichts zu sagen. Das damalige Indien war eine sichere Heimat von Weisheit und Religiosität.

 

In einer Kultur, in der ganz selbstverständlich mit eigenem Weiterleben nach dem Tode und einer Ernte des hier Gewirkten gerechnet wird und in der Tausende von vertrauenswürdigen Menschen von eigenen Erfahrungen über ein "Jenseits" berichteten, bestehen feste sittliche Normen, die den Erwachsenen vertraut waren und von den Kindern als selbstverständlich übernommen wurden, in die sie hineinwuchsen.

Wieviel schwerer aber haben es heute westliche Eltern, die über dieses jetzige Leben hinaus denken, in der Beeinflussung ihrer Kinder. Überall, in Schule und Freundeskreis und in den Medien sind die Kinder einem rationalistischen innerweltlichen Weltbild ausgesetzt, mit Überbetonung von "Freiheit" und mit Überbewertung von Lust, Vergnügen und Genuss.

Dr. Helmut Klar schreibt in seinem Buch: "Buddhistische Eltern und ihre Kinder" folgendes zum Erziehungsproblem: "Unsere Kultur droht in einem einseitig materialistisch ausgerichteten Erfolgsstreben zu ersticken... die Probleme der Menschen sind verwickelter denn je und für den einzelnen nicht mehr zu überschauen...das Problem ist vielschichtig, aber auch heutzutage ist das Vorbild der Eltern immer noch die beste Grundlage der Erziehung. Für viele Eltern ist dies freilich unbequem und auch gar nicht mehr durchführbar. Denn inzwischen sind Schwierigkeiten prinzipieller Art hinzugekommen, die durch den Strukturwandel unserer Gesellschaft bedingt sind. Das Wettbewerbsprinzip im Existenzkampf und der durch den Konsumzwang geforderte hohe Lebensstandart lassen den Eltern keine Zeit, sich in dem Maße den Kindern zu widmen, wie es erforderlich wäre... Vor allem fehlt es den Eltern selbst an geeigneten Vorbildern. Es gibt zu wenige, die den Buddhismus vorleben und es gibt zu wenig buddhistische Pädagogen, die uns als Fachleute zeigen könnten, was es heißt, buddhistische Erziehungsarbeit zu leisten und gut fundierte Theorien in die Praxis zu übertragen."

Daher erheben diese Ausführungen hier keinerlei Anspruch, sondern es sind lediglich Überlegungen zur Erziehung, abgeleitet aus der Lehre des Buddha:

Aus buddhistischer Sicht muss man als erstes anmerken: Nicht nur, was der Mensch im Laufe seines Lebens wird, sondern was er bereits bei seiner Geburt ist, ist sein Werk, geschaffen in früheren Leben.

Es wird bei der Geburt kein neues Wesen erzeugt, es wird nicht mal ein Wesen charakterlich oder geistig verändert, sondern es bekommt nur ein fleischliches Werkzeug. Es bringt seine Triebe, seine psychischen Dispositionen, mit. Seinem Geist stehen nach seiner Inkarnierung der größte Teil seiner bisherigen Erlebnisse nicht mehr bewusst zur Verfügung, wenn auch manche Menschen, besonders in den ersten Jahren des neuen Menschenlebens, sich sehr wohl an ihre vergangene Daseinsform erinnern.

Das Heranwachsende ist bestrebt, im Dienste seiner mitgebrachten Triebe die neu herankommenden Erlebnisse (entsprechend seinem bei der Geburt mitgebrachten geistigen Zuschnitt) zu speichern und zu ordnen. So erwirbt es im Laufe der Zeit eine Weltsicht, die mosaikartig zustandegekommen ist durch seine tendenzbedingte Nachfrage einerseits und durch das Angebot der (einst selbst gewirkten = Karma) Umwelt andererseits. Diese Weltsicht formt ihrerseits seinen Charakter und sein Verhalten.

Fast jeder Mensch bringt, von "drüben" kommend und hier geboren, bringt noch mehr oder weniger Ahnung mit von den anderen Gesetzen, welche er drüben erfuhr. Darum zeigt sich bei den Kindern, die diese Ahnungen noch nicht durch die ständige Erfahrung der irdischen Kausalität überdeckt haben, eine Zuneigung zu den religiösen Lehren, sofern diese noch nicht verdorben sind auf dem Wege der Tradition.

Wenn Jesus sagt: "Geben ist seliger denn Nehmen", wenn dasselbe der Buddha lehrt und dieses Gesetz in allen Religionen in dieser oder jener Formulierung zu finden ist, dann zeigt sich darin der Unterschied zwischen dem irdischen und himmlischen Gesetz: Jeder Mensch erfährt, dass er das Geld, das er einem anderen wegen dessen Notlage schenkt, nicht mehr besitzt: das ist die irdische Kausalität, die sinnlich wahrnehmbar ist. Aber nur der aufmerksame Mensch, der seine Beobachtung über sein ganzes Leben erstreckt, kann die Gültigkeit des geistigen Gesetzes erkennen, nach welchem Geben "seliger ist denn Nehmen".

Nicht nur erhellt die Tat des Gebens, wenn sie von Mitempfinden, Güte, Hilfsbereitschaft begleitet ist, sein Herz, sondern er hat in seine geistige Zukunft hinein seinen Geist der Hilfsbereitschaft, des Gebens, der Güte gesandt. Und in dem Sinne kommt es aus der Zukunft an ihn heran. Darum kann Jesus - und können alle Kenner des geistigen Gesetzes sagen, dass auch der arme Mensch, der nichts oder fast nichts abgeben kann, allein durch den Geist der Hilfsbereitschaft, durch den Geist des Gebens und der Fürsorge an Reichtum und Wohlstand für seine Zukunft baut.

Kinder sind ja durch ihre ganze Kindheit hindurch sowieso den ausdrücklichen und impliziten Weltanschauungen ihrer Umgebung ausgesetzt und damit schon beeinflusst, ehe es um ihre eigene Entscheidung geht. Und da die meisten Einflüsse heute nur das diesseitige Leben betreffen, so müssen sich religiöse Eltern um so mehr verpflichtet fühlen, durch einleuchtende Gespräche aus ihrer religiösen Sicht die Kinder auf die geistige Seite des Lebens aufmerksam zu machen und sie immer mehr daran zu gewöhnen, auch mit dieser und ihren Gesetzen zu rechnen. Dazu tragen nicht nur die Gleichnisse in den Religionen, sondern auch Märchen mit bei, die oft in anschaulicher Weise die für den Täter üblen Folgen der "bösen" Taten vor Augen führt.

Buddhistische Eltern werden versuche, die Kinder teilnehmen zu lassen an ihren Einsichten und Erfahrungen. Eine besonders gute Gelegenheit bietet der ausgesprochene oder unausgesprochene kindliche Wunsch, eine Geschichte erzählt zu bekommen. Sie werden ihnen dann von guten Menschen, Engeln und Heiligen und dagegen den menschlichen Schwächen erzählen, von hellen und dunklen Daseinsformen und Geschichten und Berichte erzählen und vorlesen, in denen die Folgen üblen und guten Tuns gezeigt werden. Sie werden versuchen, bei den verschiedenen praktischen Gelegenheiten im Leben unmerklich ihren Blick zu schärfen für das Gesetz, das über den Wesen steht, hier schon und drüben: Das Gesetz von Saat und Ernte, und ihnen so den weitreichenden Nutzen guten Handelns verständlich machen.

Eine große Hilfe dafür ist das Buch "Die Buddhistische Schatzkiste" des Buddhistischen Seminares. Viele Geschichten daraus sind je nach Alter und Art des Kindes zum Vorlesen und Besprechen geeignet.

Der westliche Anhänger der Lehre des Buddha kann seine Kinder nicht in buddhistische Bekenntnisschulen schicken, weil es solche hier nicht gibt. Aber es gibt auch heute noch Schulen mit guter Leitung und guten Lehrern, auch aus der christlichen Tradition. Buddhistische Eltern werden ihrerseits nicht versäumen, die Gedanken der Lehre des Buddha dem Kind nahezubringen und aufzuzeigen, dass die großen Religionsgründer in vielen Punkten übereinstimmen. Entscheidend ist nicht,  dass die Eltern "halbe Engel" sind, sondern dass die Kinder erleben, wie ihre Eltern das allen Religionen zugrundeliegende Gesetz von Saat und Ernte zu ihrem Leitbild gemacht zu haben. Das kann einem älteren Kind oft gerade da deutlich werden, wo die Eltern eigene Fehler offen zugeben und dem Kind zeigen, wie sie sich selber mit diesem Maßstab aus ihren Unzulänglichkeiten heraushelfen, am Maßstab der Lehre messen.

Paul Debes schreibt in "Wissen und Wandel" (VI. Jhg. 1969) :

"Wenn Eltern ihren Kindern in der Jugend ein wirklicher Halt und eine wirkliche Stütze gewesen sind, dann sollten sie sich bei den heranwachsenden Kindern nicht mehr so viel Sorgen machen. Solche Kinder, die in seelischer und weltanschaulicher Geborgenheit aufgewachsen sind, sind meistens viel weniger "schlecht" und viel weniger gefährdet als besorgte Eltern es glauben. Wenn man die Kinder vor einer Klippe sieht, dann meint man, dass sie jetzt dort scheitern könnten. Und wenn man gar sieht, was sie zuerst anstellen, dann ist man überzeugt, dass sie nun scheitern würden. Wenn man aber weiter zusieht, dann merkt man, dass sie doch um die Klippe herumkommen, nur eben in anderer Weise herumkommen, als die Eltern es früher getan haben oder heute tun. Wenn man das öfter beobachtet, dann wird bei den Eltern ein gewisses Vertrauen zu den Kindern wachsen. Sie helfen ihnen weiterhin, aber sie helfen ihnen nicht mehr so vordergründig in den einzelnen Situationen, sondern mehr vom Grunde her, indem sie ihnen Freude am Gutsein, am Saubersein, am Hellerwerden, an einer von innen her feineren Lebensweise. So wächst auch das freundschaftliche Verhältnis mehr und mehr, und die Kinder werden allmählich zu Mitwanderern, und die Eltern gehen mit ihnen wie mit anderen Erwachsenen Freunden um."