Das Gemüt (ceto) ist eine Art Bindeglied zwischen Geist (mano) und Herz (citta).

Unter Gemüt verstehen wir im allgemeinen das gesamte Gefühlsleben zum Unterschied von der Verstandestätigkeit.

Wir sprechen von gemüthaften Gefühlen, die beim Bedenken gehabter oder zukünftiger Erlebnisse im Geist aufkommen, so von "Freudigkeit", "Fröhlichkeit" oder "Traurigkeit", "Trübsinn", "Wehmut", also von Stimmungen und Gestimmtsein.

In buddhistischer Sicht bildet die Persönlichkeit mit der Umwelt (und das ist im weiterem Sinne der ganze Kosmos) eine karmische Einheit.

Wer dem nachgeht, lernt sich besser kennen. Es gibt eine dreifache Entwicklung.

Beurteilung im Geist - Reaktion im Gemüt - Veränderung des Herzens.

Solange die verborgenen Verstrickungen der Sinnensucht im Herzen bestehen (bei uns in den weitaus meisten Fällen das ganze Leben), so lange bleiben bei der Berührung mit den Dingen die entsprechenden Wohlgefühle, und so lange wird der Geist immer wieder ernährt mit der Erfahrung: "Der Genuss dieser Dinge tut wohl." Diese in den Geist eingetragene Erfahrung steht dann im Widerspruch zu den ebenfalls im Geist eingetragenen durch die Lehre gewonnenen Einsichten dass das sinnliche Begehren auf die Dauer aber in immer größere Abhängigkeit bis in die Unterwelt führt und dass man durch das sinnliche Begehren den überweltlichen Herzensfrieden (samadhi) nie erlangen kann.

Der Erwachte vergleicht diese feinen, unscheinbaren, aber oft unheimlich starken Verstrickungen mit dem Tau eines am Ufer vertäuten Bootes, das nur durch den ständigen Wechsel zwischen dem Eintauchen ins Wasser und dem Straffen beim Trocknen in der Sonne ganz allmählich und nur faserweise abfault.

Der Prozess der Abwendung des Geistes und der Befreiung des Herzens von einer Sache vollzieht sich also im Zusammenwirken von Geist, Gemüt und Herz. von diesen drei Phasen bewirken die ersten beiden, die sich in Geist und Gemüt vollziehen, nur die Abwendung, während der Prozess der völligen Befreiung sich im Herzen, im citta, vollzieht, und zwar erst nach der Abwendung.

Man stelle sich vor, jemand hört oder liest: durch intensive Bemühungen kann man diesen oder jenen erheblich höheren inneren und äußeren Zustand erlangen, wodurch man in diesem Leben weit, weit darüber hinaus nach Ablegen dieses Leibes viel mehr Wohl und Helligkeit und Sicherheit erfährt. Dann gibt es ja die Möglichkeit, dass er das, was er da gehört oder gelesen hat, nicht beachtet oder nicht einsieht, sondern ablehnt. In diesem Fall ist keine der drei Phasen eingetreten. Wenn er aber von der Richtigkeit und Gültigkeit dieser Lehre überzeugt worden ist, sie also anerkennt, annimmt, so ist damit die erste Phase vollzogen: die Anerkennung der Lehre und damit dieses Strebenszieles im Geist (mano).

Gleichzeitig mit dieser verstandesmäßigen Anerkennung erfährt der Mensch auch sofort die Resonanz seines Gemütes, die er aber oft nicht beachtet oder nicht als solche erkennt. Vom Gemüt kommt das "Zumutesein" her. Es geht darum, wie einem im Hinblich auf die neue Einsicht zumute wird. So wie wir unter dem Begriff "Gebirge" einen Komplex von Bergen verstehen, unter "Gewölk" einen Komplex von Wolken, so bedeutet Gemüt jenes vielfältige und unterschiedliche "Zumutesein", jene vielfältigen Anmutungen, die wir bei diesen und jenen Erinnerungen oder Einfällen oder Nachrichten oder Aussichten in uns empfingen.

Wenn also die erste Phase eingetreten ist, wenn man ein bestimmtes Strebensziel in seinem Geist als ein wirklich weit überlegenes und heileres Ziel anerkannt hat, dann antwortet sogleich das Gemüt des Menschen auf diese neue Einsicht. Dieser Zusammenhang tritt immer ein, auch wenn der Mensch ihn nicht bemerkt, denn wenn der Geist etwas eingesehen hat, dann beginnt der Mensch dieses Ziel verbindlich zu nehmen; und eben, weil es ihm nun verbindlich wird, er sich also darauf hin ausrichtet, darum nimmt augenblicklich das Gemüt des Menschen dazu Stellung und drückt mit seinem geistigen Gestimmtsein aus, ob es ihm zusagt, ob er gern daran denkt.

Wenn ein Mensch trotz der intellektuellen Erkenntnis, dass in einem bestimmten Ziel viel mehr Sicherheit und Heil liegt, doch eine innere Zurückhaltung empfindet oder gar Beklommenheit, wenn er nicht gern an dieses Ziel denkt - etwa darum, weil man zur Erreichung des Zieles viel Vertrautes, Gewohntes aufgeben oder manches Anstrengende unternehmen muss - dann ist die zweite der drei Phasen noch nicht eingetreten: man hat sich dem neuen Ziel trotz geistiger Einsicht noch nicht im Gemüt zugewendet, von seinen bisherigen Zielen noch nicht richtig abgewendet. Wenn man aber mit der Anerkennung dieses Zieles im Geist sich auch gemütsmäßig dazu hingezogen fühlt, darüber erfreut oder gar begeistert ist und wenn man sich Kraft und Mut und Ausdauer zutraut, um dieses Ziel anzustreben, bis man es erreicht hat, dann ist damit die zweite der drei Phasen, die Zuwendung des Gemütes zu dem neuen Ziel und zugleich die Abwendung von dem alten Ziel eingetreten, obwohl das Herz noch nicht von der betreffenden Verstrickung frei ist. Erst wenn es so weit ist, dann kann die dritte Phase beginnen, die Auflösung auch der Verstrickung des Herzens (siehe dazu das Kapitel: 10 Fesseln), die erst mit der vollständigen Erreichung des Zieles abgeschlossen ist.

Wir brauchen ja nur daran zu denken, wie die meisten Buddhisten, einschließlich uns selbst, zum Nirwana stehen: von unserer intellektuellen Einsicht her, die wir aus den in den Reden beschriebenen geistig-seelischen Zusammenhängen gewonnen haben, wissen wir, dass der Samsara in sich selbst eine unendliche Tretmühle von Mühsal und Leiden ist und dass dieser Leidenskreislauf aus ununterbrochener Wahrnehmung von Formen und Gefühlen beendet wird im Nirwana. so etwa wissen alle gründlich unterrichteten Buddhisten. Damit ist bei ihnen die erste der drei Phasen eingetreten, aber dennoch gibt es nur wenige Buddhisten, die sich auch in ihrem Gemüt zum Nirwana wirklich hingezogen fühlen, die, wie der Erwachte es ausdrückt, "den Heilsstand im Blick behalten", die also die Bindungen des Gemütes an den Samsara wirklich abgeschnitten haben und nun freudig auf die Erlösung hinstreben. Schon die alten indischen Hausleute sagten manchmal zum Erhabenen, dass ihnen das Nirvana wie ein Sturz in den Abgrund vorkäme. Und auch im Abendland sprachen die alten Völker von der Angst vor der Leere. Diese Gemütsempfindungen, die beim Nachdenken entstehen, zeigen den inneren triebbedingten Stand, und sie ändern sich auch im Laufe der Zeit je nach der Zunahme oder Abnahme der Verstrickungen.

Die zweite der drei Phasen ist also nicht schon dann eingetreten, wenn man in der Unterweisung das Ziel verstanden und begriffen hat, sondern erst dann, wenn man beim Bedenken dieses Zieles auch ein freudiges Gefühl der Befreiung empfindet, so dass man in dem gleichen Maße die bisherige Zielsetzung und Lebensgewöhnung als unzulänglich empfindet und man auch in seinem Empfinden ganz davon freiwerden möchte. Das erst ist die endgültige Abwendung von der bisherigen Gewohnheit nach Lebensführung und Zielsetzung.

Auch bei der Aufhebung der fünf Hemmungen (siehe entsprechendes Kapitel) kommen alle drei Phasen in ihrem Zusammenhang zum Ausdruck: Zuerst im Geiste die gründliche Erkenntnis über den elenden Charakter der Sinnlichkeit und als zweites: "Er verweilt begierdelosen Gemütes." - da steht im Pali auch ceto, das bedeutet ja, dass man zu der Zeit auch beim Denken an weltliche Erscheinungen keinerlei Zuneigung in sich spürt, im Gemüt von den weltlichen Erscheinungen ganz abgewandt ist und hohen geistigen Einsichten freudig nachgeht, also von der ersten Hemmung (Sinneslustwollen) zu der Zeit nicht behindert ist.

 

Hier noch einige Ausführungen, um darüber zu meditieren:

Es gibt drei falsche Gemütsverfassungen:

1. Sinnensüchtigkeit, 2. Übelwollen, 3. Schädigung, Belästigung aus Rücksichtslosigkeit.

Es gibt drei rechte Gemütsverfassungen:

1. Sinnensucht-Freiheit, 2. Wohlwollen, 3. Schonung, Fürsorge, Hilfsbereitschaft.

Die erste falsche Gemütsverfassung, "Sinnensüchtigkeit", bedeutet: an irgendwelche körperlichen Lüste oder Freuden oder überhaupt an Dinge der sinnlich wahrgenommenen Welt mit begehrlichem Gemüt denken. - Die Gemütsverfassung der Sinnensucht-Freiheit dagegen bedeutet: mit unbegehrlichem, d.h. unabhängigem Gemüt an das Hinausstreben aus dem Gefängnis der Sinnlichkeit und dessen positive Folgen denken. Diese Sinnensuchtfreiheit kann erst gewonnen werden, wenn der Mensch überweltliche Freude erlangt, so dass daneben alles Sinnenwohl seinen Reiz verliert. So ist es dem Erwachten selbst auf seinem Weg zur Erwachung gegangen.

Die zweite falsche Gemütsverfassung, Übelwollen, ist eine üble Gesinnungsweise, die den Täter selber schädigt. Er geht kaltherzig, nächstenblind durch sein Leben und schafft sich damit selber schlechtes Erleben in der Zukunft. - Das Gegenteil, wohlwollende, liebevolle Gemütsverfassung, ist im Grunde das gleiche, was Jesus nennt: "Seinen Nächsten lieben wie sich selbst", worunter verstanden wird, dass man jedes Du, mit dem man gedanklich oder in unmittelbarer Begegnung zu tun hat, ganz so mit zu bedenken sich bemüht, als wenn man es selbst wäre, und damit den guten Weg durch das Leben geht. Es ist eine Frage, ob wir das immer können und überhaupt auch immer wollen, aber es ist nun einmal so, dass alle großen Geister, die die geistigen Zusammenhänge des Lebens kennen, dem Menschen sagen, dass er nie zu seinem wahren Wohl kommen kann, solange er mit anderen Menschen schlechter umgeht als mit sich selbst. Das ist ein geistiges Gesetz, das die Existenz beherrscht, und gehört zum karmischen Zusammenhang.

Mit dem dritten Begriffspaar: Schädigung, Belästigung aus Rücksichtslosigkeit ist die unachtsame rauhere Umgangsweise gemeint, die oft selbst dort vorkommt, wo kein Übelwollen, sondern Wohlwollen vorliegt. Solche Menschen müssen sich zusätzlich um Schonung des anderen und Hilfsbereitschaft bemühen.

Der Erwachte weiß und lehrt - und wir erfahren es bei uns -, dass die meisten Menschen die rechte Gemütsverfassung nicht leicht erwerben und vor allem nicht lange bewahren können. Dafür ist die Gewöhnung an verlangendes Denken und an die innere Abweisung der Menschen, die einem unsympathisch sind, zu groß. wer auf sich achtet, der merkt, dass er unversehens immer wieder in üble Gemütsverfassungen gerät.

Die Gemütsverfassung hat nämlich wie die Lebens-Anschauung zwei verschiedene Wurzeln, die jeder erkennen kann, der sich um Verbesserung seiner Gemütsverfassung bemüht.

Der Erwachte sagt, dass die Gesinnung, die Gemütsverfassung, in der jeweiligen Wahrnehmung wurzelt. Wenn uns ein Gegenstand oder ein lebendiges Wesen begegnet, das uns sympathisch ist - also dem triebebewegten Herzen entspricht - dann haben wir damit eine von Wohlgefühl begleitete Wahrnehmung, und diese führt sofort auch zu einer zuneigenden Gesinnung oder Gemütsverfassung. - Jedoch kann man dann, wenn man durch Überlegung erkennt, dass einem die betreffende Sacho zwar sympathisch, aber aus irgendwelchen Gründen doch schädlich ist - durch diese Einsicht die Gemütsverfassung verändern: die Vorstellung des Schadens kann zu innerer Befremdung und Abwendung von der sympathischen Sache führen.

Diese als zweites aufgekommene Einsicht von der Schädlichkeit der betreffende Sache hat eine neue Wahrnehmung in uns erzeugt - eben die Wahrnehmung der Einsicht, dass die Sache schädlich sei - und dadurch ist die mehr oder weniger ablehnende Gemütsverfassung, Gesinnung, aufgekommen.

Daran sieht man die zwei verschiedenen Wurzeln der Gemütsverfassung: die eine ist die bei der Begegnung mit Lebewesen oder Dingen durch Berührung der Triebe entstandene, mit Wohl- oder Wehgefühl besetzte Wahrnehmung, der auch immer unmittelbar eine entsprechende zugeneigte oder abgeneigte Gesinnung bzw. Gemütsverfassung folgt. Die andere Wurzel ist eine Wahrnehmung, die durch Bedenken, durch nüchterne, vernunftgemäße Betrachtung des Wertes oder des Schadens der betreffenden Sache entstanden ist, eine Wahrnehmung, die weniger gefühlsbedingt, sondern mehr mit dem Urteil des Geistes besetzt ist.

In den Stunden stiller Besinnung auf die rechte Anschauung (Meditation) sind wir vorübergehend von den weltlichen Einflüssen unberührt, die Triebe schweigen, und das Gemüt des Menschen ist durch die Betrachtung der rechten Anschauung friedvoller. Wir sehen  wieder die wirklichen Zusammenhänge des geistigen Lebens und sind dann in einer guten Gemütsverfassung. Aber in der Begegnung mit dem äußeren Leben werden die Triebe des Herzens geweckt, werden wach, melden ihr Anliegen und reagieren mit Lust und Ärger. Der Mensch ist von ihnen bewegt und beobachtet, dass es ihm dann viel schwerer fällt, die rechte Gemütsverfassung zu bewahren.

Auf äußere Taten und Worte hat der Mensch viel mehr acht als auf die Empfindungen und Emotionen, die seinen Geist und sein Gemüt bewegen. Auch schon durch die Reaktion der Umwelt auf sein sichtbares und hörbares Tun fällt ihm auf, ob sein Reden, Handeln und seine Lebensführung richtig oder falsch sind.

Die rechte Anschauung ist der Beschaffenheit des Herzens oft weit voraus. Deshalb ist es unmöglich, von sich zu verlangen, auch eine entsprechend hohe Gemütsverfassung zu halten. So kann z.B. ein von Natur immer wieder zu Zorn neigender Mensch bei klarem und aufmerksamen Studieren und Meditieren über die Aussagen des Buddha wie auch jedes anderen Weisen und durch eigene Erfahrung zu der tiefen Überzeugung von dem sehr schädlichen und unwürdigen Charakter des Zornes kommen mit seinen oft furchtbaren Folgen. Diese Einsicht kann der Geist in kürzester Zeit als Folge von entsprechendem Bedenken gewinnen - aber damit ist trotz sanfter Gemütsverfassung während der Meditation sein Herz noch in keiner Weise geändert. Erst wenn immer wieder die Einsicht gepflegt wird, öfter in Ruhe darüber meditiert wird, wird im Laufe der Zeit auch die Gemütsverfassung immer weniger zornmütig sein.

Anders noch im äußeren Verhalten, im Reden und Handeln. Die aus dem Zorn heraus geschehenen Worte und Taten, wie Schlag und Wiederschlag, Schimpfen und Schelten oder eisige Abwendung, kann sich der Mensch eher abgewöhnen als den Zorn selber. Das bedeutet, ihm fallen als Nachfolger der Lehre seine üblen Gemütsverfassungen dann richtig auf, er empfindet ihren üblen Charakter und ihre hinreißende Kraft zu üblem Tun, bemerkt, dass er durch sie beinahe oder auch wirklich diese oder jene Tugendregel übertreten hatte. Solche Beobachtung sollten den Menschen nie deprimieren, sondern er sollte sich ruhig sagen: Ich bin in meiner Gemütsverfassung noch nicht so weit, darum habe ich falsch gehandelt, das weiß ich, aber ich mache weiter.

Wenn man sich morgens vor Augen hält - das braucht gar nicht lange Zeit in Anspruch zu nehmen - dass man mit jeder wohlwollenden und gewährenden Gesinnung und Tat sein Leben allmählich heller und harmonischer macht und sich bei den Begegnungen in Tugend übt, dann kommt man durch solche regelmäßigen Kurzmeditation zwangsläufig auch zur Pflege der Gesinnung, ja, man ist schon dabei.

Quelle: Meditation nach dem Buddha, von Paul Debes.