Buddhas Parinibbana - Statue in Kusinara, Indien

Das erste Konzil.

(Culla Vagga XI)

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Von den großen Jüngern überlebten Mahakassapo, Anuruddho, Anando und Upali ihren Meister. Bei ihnen lag nun die Fürsorge für Lehre und Ordnung. In der Lehre und Ordnung lebte der Erwachte fort, getreu seinem Ausspruch:

"Wer die Lehre sieht, sieht mich." (Samyutta Nikaya 22, 87)

Nachdem die Leichenfeiern beendet waren, zog sich Anando zunächst in die Waldeinsamkeit zurück, um die völlige Triebversiegung zu erringen. Er wurde aber zu sehr von Menschen bedrängt, die über den Tod des Buddha getröstet werden wollten. Tag und Nacht, in Dorf und Wald musste Anando die Anhänger trösten.

Mahakassapo war unterdessen auf der Landstraße von Pava nach Kusinara mit 500 Mönchen unterwegs, als er einen Pilger traf, den er nach seinem Meister fragte. Dieser antwortete: "Ja, Verehrter, ich weiß etwas: Heute vor einer Woche ist der Asket Gotamo vollkommen erloschen, deshalb habe ich diese Blüte hier mitgenommen."

Nun war in dieser Schar ein Mönch namens Subhaddo, der erst in vorgerückten Jahren in die Hauslosigkeit gezogen war. Er meinte, nun sei man diesen großen Asketen endlich los, der alle immer nur geplagt hat mit seinem: "Dies ist euch erlaubt; jenes ist euch nicht erlaubt." Jetzt könne man doch tun, was man wolle und nicht tun, was man nicht wolle.

Doch Mahakassapo entgegenete: "Kommt, Brüder, lasst uns die Lehre und die Ordensregeln rezitieren, ehe das, was nicht der Lehre entspricht, durchkommt und die Lehre in den Hintergrund tritt, ehe das, was nicht der Ordensregel entspricht, durchkommt, und die Ordensregel in den Hintergrund tritt, ehe die Lehrer des Nichtlehrgemäßen erstarken und die Lehrer der Wahrheit geschwächt werden."

Die natürliche Verehrung der Menschen, der Anhänger und Mönche, konzentrierte sich in der Folgezeit vor allem auf Mahakassapo, auch weil ihn der Erwachte besonders ausgezeichnet hatte (indem er seine Robe mit ihm getauscht hatte). Und so wird es verständlich, dass man ihn in der Überlieferung als den ersten Patriarchen verehrte. Auch er musste, als er nun von Kusinara nach Rajagaham zog, die Anhänger trösten. Um die Lehre zu bewahren, hatte er den Entschluss gefasst, dorthin ein Konzil einzuberufen. Wegen der unsicheren politischen Verhältnisse im Land Kosalo sollte das Konzil nicht, wie es zu erwarten gewesen wäre, im Siegerwaldkloster von Savatthí stattfinden. Vielmehr wählte Kassapo Rajagaham, wo die Herrschaft von König Ajatasattu den Schutz der Versammlung gewährleisten würde. An dem Konzil sollten alle noch lebenden Geheilten teilnehmen, sonst niemand. Die einzige Ausnahme sollte für Anando gemacht werden, weil er als Kenner der meisten Lehrreden für das Konzil schlechthin unentbehrlich war. Als aber das Konzil der Geheilten unmittelbar vor der Tür stand, machte Anuruddho den Vorschlag, Anando nur dann zuzulassen, wenn er die letzten Triebe überwunden habe und ein Geheilter geworden sei. Mit diesem heilsamen Ultimatum leistete Anuruddho seinem Vetter und Freund eine entscheidende Hilfe. Anando setzte nun alle Kräfte ein und übte sich derart stark in den vier Pfeilern der Achtsamkeit, die ganze Nacht hindurch, dass er am Morgen, als er sich eben etwas hinlegen wollte, die letzten Triebe aufhob. So hatte sich erfüllt, was sein Meister ihm angekündigt hatte: Anando war einer der Geheilten geworden.

Am nächsten Tag begann in einer Felsengrotte unweit vom Bambuspark das Konzil, das sieben Monate dauerte. Als Anuruddho und Mahakassapo erfuhren, dass auch Anando einer der  Geheilten geworden war, begrüßten sie ihn im Kreise derer, die dem Buddha in der Wachheit gleich geworden waren. Während des Konzils, das in der Regenzeit begonnen hatte, durften keine anderen Mönche nach Rajagaham kommen, damit dieVersammlung der Geheilten ganz ungestört blieb. Der König hatte den Schutz und die Versorgung und alles Nötige für den äußeren Ablauf übernommen.

Das Konzil bestand aus drei Hauptteilen: Als erstes befragte Kassapo den größten Kenner der Ordenszucht, der Disziplin und Ethik, nämlich den Sakyer Upali über die Entstehung und den Gehalt jeder einzelnen Regel, die im Laufe der fünfundvierzig Jahre vom Buddha erlassen wurde. Er begann mit den vier Verfehlungen, die den Ausschluss bedeuteten, befragte ihn nach dem Tatort, dem Täter, nach dem, was festgelegt worden ist, den Ausführungsbestimmungen dazu und nach den Erläuterungen darüber. Die vier Verfehlungen, die einen Mönch automatisch aus dem Sangha katapultieren, sind Geschlechtsverkehr, Nehmen von Nichtgegebenem, Tötung eines Menschen und falsche Anmaßung übermenschlicher Fähigkeiten.

In gleicher Weise befragte der ehrwürdige Mahakassapo den ehrwürdigen Upali nach allen Ordensregeln, sowohl für Mönche als auch für Nonnen.

So wurde der Vinaya als erster Teil des späteren Palikanon festgelegt, jedenfalls in den Grundzügen des Patimokkha.

Der zweite und umfangreichste Teil des Programms war dann die Festlegung der Lehrreden. Auch hier war Kassapo der Frager. Und die Antworten kamen diesmal von Anando, der mit seinem selbst für indische und asketische Verhältnisse ungewöhnlichen Gedächtnis sämtliche Lehrreden des Buddha schon nach einmaligem Hören auswendig konnte. Als erstes fragte Kassapo nach denjenigen Lehrreden, die in jüngster Zeit vom Erwachten und den Jüngern gehalten wurden - und das waren gleichzeitig die längsten. Daraus ging später die sogenannte "Längere Sammlung“ (Digka-Nikaya) hervor: Die Reden dieser Sammlung sind außer Nr. 4 dadurch gekennzeichnet, dass sie nicht mehr in der Herrschaftszeit von König Bimbisaro gehalten wurden, also höchstens bis acht Jahre vor dem Tod des Buddha zurückreichten. Als zweites folgten dann die Reden, die später als "Mittlere Sammlung" (Majjhima-Nikaya) bekannt wurden, sowie die Gruppierte (Samyutta Nikaya) und Angereihte Sammlung (Anguttara-Nikaya). Der Grundstock der Lehrredenüberlieferung des Palikanon wurde also schon damals, nur ein halbes Jahr nach dem Tod des Buddha, gelegt, in siebenmonatiger Arbeit einer Versammlung von Hunderten von Triebbefreiten.

Den dritten Programmpunkt bildeten die Dinge, die der Buddha Anando als Vermächtnis hinterlassen hatte. Er sagte, der Meister habe gestattet, die kleinsten Regeln aufzuheben. Als selbst die Geheilten sich nicht einigen konnten, was unter diesem Begriff zu verstehen sei, machte Kassapo folgenden Vorschlag: Wenn sie jetzt auch nur eine einzige Regel aufhöben, würden die Anhänger meinen, sie seien nach dem Tod des Meisters lässig geworden. Und da nun nicht eindeutig feststehe, welche Regeln überhaupt aufgehoben werden dürften, sei es das Beste, überhaupt keine aufzuheben. Dem stimmten alle zu.

Die Ältesten meinten nun, es sei ein Regelverstoß Anandos gewesen, dass er nicht gefragt halte, was darunter zu verstehen sei, wenn der Buddha gestattet hatte, die kleinsten Regeln aufzuheben. Bei dieser Gelegenheit machten sie Anando noch vier weitere Vorwürfe: er habe einmal auf die Robe des Meisters getreten, er habe erlaubt, dass Frauen zuerst den Leichnam des Buddha verehrten, er habe ihn nicht gebeten, ein Weltzeitalter hindurch zu bestehen, und er habe bewirkt, dass ein Nonnenorden entstehe. Er erwiderte, alles sei keine böse Absicht, sondern höchstens Mangel an Achtsamkeit gewesen - er sehe keine Regelwidrigkeit, unterwerfe sich aber der Beurteilung der Geheilten.

Danach trug Anando die zweite Anweisung des Buddha vor: Das Strafverfahren gegen Channo, den früheren Wagenlenker des Prinzen Siddhattho. Die Geheilten beauftragten ihn, Channo selber dies Urteil zu übermitteln. Anando gab zu bedenken, dass jener sehr heftig sei. Da wurde ihm geraten, eine Schar Mönche mitzunehmen. Nach dem Ende des Konzils wanderte Anando nach Kosambi. Als Channo die Strafe vernahm, wurde er vor Erschütterung ohnmächtig. Als er wieder zu sich kam, war er tief beschämt, dass der Meister als letzte Ordenshandlung noch diese Strafe gegen ihn verhängt hatte. Er strengte alle Kräfte an und wurde bald ein Geheilter. So erwies sich diese Strafe als der letzte, noch nach dem Tod wirkende Akt des Erbarmens des Buddha, zum Wohl und Heil für seinen alten Wagenlenker Channo. Als Geheilter ging dieser zu Anando und bat um Aufhebung der Strafe. Anando erklärte, mit der Triebversiegung sei die Strafe von selbst gegenstandslos geworden. Channo verkündete seine Erlösung mit einem Vers, siehe Theragata 69.

Zu jener Zeit kam der ehrwürdige Purano mit einer größeren Schar von Mönchen nach Rajagaham und zur Grotte des Konzils. Die Mönche dort erklärten ihm die Festlegung der Lehrreden und forderten ihn auf, sich dieser Rezension anzuschließen. Er aber erwiderte, es genüge ihm, die Lehre in der Form im Geist zu behalten, wie er sie selber aus dern Mund des Meisters gehört habe (Culla Vagga XI).

Damit wies Purano nicht nur die Einteilung der Suttas in Sammlungen zurück, sondern offenbar auch die Strukturierung der einzelnen Suttas in die Form, die sie zu Überlieferungszwecken erhalten hatten. Das Konzil hatte keinerlei "rechtlichen" Status, mit dem es andere Mönche zwingen konnte, sich seinen Entscheidungen zu unterwerfen, auch lässt sich die Vorstellung von Zwang nicht mit dem Geist der Suttas und der Vinaya vereinbaren: Seine Stärke lag im kollektiven Ansehen und im rechtschaffenen Verhalten und der Weisheit seiner einzelnen Teilnehmer. Wahrscheinlich war also Purana nicht der einzige Lehrer, der es vorzog, seinen eigenen Weg zu gehen. Auch andere zogen es vielleicht vor, weiter nach ihren eigenen Methoden zu lehren, obwohl sie anerkannten, dass die Fassung des Konzils wohlrezitiert war, d.h. Führung in richtiger Ansicht bot. Wir wissen es nicht mit Bestimmtheit, denn keine jener anderen Traditionen hat überlebt. Zu bedenken ist auch, dass unter den erlauchten Teilnehmern des ersten Konzils sicher nicht alle in der Lage waren, die Suttas in ihrer Gesamtheit auswendig zu lernen.

Da andererseits in einigen Lehrreden (z.B. Majjhima Nikaya 108) in der Einleitung ausdrücklich festgestellt wird , dass sie "nicht lange nach" dem Verscheiden des Buddha handeln, wissen wir, dass in einer Zeit von etwa 100 Jahren der Pali-Kanon noch anwuchs und verändert wurde und dass dieser Prozess etwa zur Zeit des zweiten Konzils, also ein Jahrhundert nach dem Buddha, zu Ende war.

 

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