Der Erwachte zeigt in der 117. Lehrrede der Mittleren Sammlung, wie samadhi, der Wohlgeschmack des Herzensfriedens, zu gewinnen ist, welche Voraussetzungen dazu erforderlich sind.

Hier folgt einmal die Aufzählung der fünf Arten des Wohlgeschmacks.

In den Lehrreden des Erwachten werden im ganzen immer wieder fünf Arten des Wohlgeschmacks genannt:

1. Der Wohlgeschmack der Lust

2. Der Wohlgeschmack der Wahrheitsfindung

3. Der Wohlgeschmack der Tugend

4. Der Wohlgeschmack des Herzensfriedens

5. Der Wohlgeschmack der Erlösung

Für den normalen Menschen verbindet sich mit dem Begriff "Wohlgeschmack" als erstes ganz unmittelbar die Vorstellung des Geschmacks köstlicher Speisen, also das beim Kosten von Speisen aufkommende Wohlgefühl, aber wir "schmecken" nicht nur mit der Zunge, sondern auch mit anderen Sinnen. So nennen wir die Zusammenstellung von manchen Formen und Farben und auch von Tönen "geschmackvoll", seien es die Gewänder am Körper, die Möbel und Bilder in einem Raum, die Räume in einem Hause, die Anlagen von Gärten und Parks, oder seien es musikalische Darbietungen: ja, der Kenner des sinnlichen Lebens weiß, dass man auf allen fünf Sinnesgebieten, also bei den sichtbaren Formen, den hörbaren Tönen, den riechbaren Düften, den schmeckbaren Säften und den tastbaren Objekten, Wohlgeschmack genießen kann.

Über diese fünf Arten sinnlichen Wohlgeschmacks heißt es in den Lehrreden immer wieder:

"Fünf Sinnengelüste gibt es: die durch den Luger erfahrbaren Formen, die ersehnten, geliebten, entzückenden, angenehmen, dem Begehren entsprechenden, reizenden;

die durch den Lauscher erfahrbaren Töne, die ersehnten...;

die durch den Riecher erfahrbaren Düfte...,

die durch den Schmecker erfahrbaren Geschmäcke...,

die durch den Taster erfahrbaren Tastungen..."

Jeder normale Mensch kennt den Geschmack der Lust durch die fünf Sinnenlüste vom Kindesalter an. Er entsteht durch die Befriedigung oder die Erfüllung eines dem Menschen innewohnenden Verlangens nach bestimmten Formen, bestimmten Tönen, bestimmten Düften, Geschmäcken oder Tastungen. Wenn dieses Verlangen erfüllt wird, indem der Mensch erlebt und erlangt, was er verlangend begehrt und ersehnt, spürt er Befriedigung durch das Gefühl der Lust. Das ist der Wohlgeschmack der Lust.

Der Wohlgeschmack der Wahrheitsfindung ist ganz anderer Art als der Wohlgeschmack der Lust. Jeder Wohlgeschmack mit Ausnahme des letzten, des Wohlgeschmacks der Erlösung, entsteht durch vorübergehende Befriedigung eines Verlangens oder Bedürfnisses; während aber der Wohlgeschmack der Lust durch vorübergehende Befriedigung eines sinnlichen Verlangens entsteht, entsteht der Wohlgeschmack der Wahrheitsfindung durch die Befriedigung eines geistigen Bedürfnisses nach Wahrheit und Klarheit über das Leben und das Dasein. Der hochsinnige Mensch, der nicht ausgefüllt ist von der vordergründigen Befriedigung der sinnlichen Tendenzen, erkennt, dass er diesem Dasein blind ausgeliefert bleibt, solange er Struktur und Gesetz des Daseins, die inneren Zusammenhänge, nicht gründlich kennt. Er erkennt, dass diese Unkenntnis, dieses Unwissen letztlich die Ursache seines gesamten Leidens bildet. Getrieben von dieser Erkenntnis, brach auch der junge Prinz Siddhattho auf, die Wahrheit zu suchen und zu finden und so zum Buddha zu werden. Und diese Einsicht bewegt noch heute viele derjenigen, die zur Lehre des Buddha gelangen.

Den Wohlgeschmack der Wahrheitsfindung kennt jeder Nachfolger der Lehre, der beim Lesen der Lehrreden oder im Gespräch mit Gleichgesinnten oder in stiller unbeirrter Beobachtung der inneren geistigen Vorgänge zu tieferen Einsichten und Erkenntnissen über die Zusammenhänge im Entstehen und Vergehen der inneren und äußeren Erscheinungen kommt und der bei sich bemerkt, wie er durch diese Erkenntnisse zu einem immer umfassenderen Verständnis der dem gesamten Dasein zugrundeliegenden Struktur und Gesetzmäßigkeit kommt, wie er an Orientierung gewinnt und von daher immer deutlicher dei Auswege sieht, die aus der Fesselung, Gebundenheit und Geworfenheit zur Befreiung führen. Der Erwachte spricht immer wieder von diesem Wohlgeschmack der Wahrheit, ja von der "Wahrheitswonne", die mit dem tieferen Verständnis der existentialen Zusammenhänge unmittelbar verbunden ist und den Menschen durchdringt. Wir lesen in den Lehrreden immer wieder von der tiefen Befriedigung, die aus der zunehmenden rechten Anschauung hervorgeht, ja, der Erwachte bezeichnet es ausdrücklich als ein Kriterium des "Stromeintritts" (sotapatti), wenn der Heilsgänger bei der Darlegung der Lehre und Wegweisung des Vollendeten ein Empfinden für den Sinn, für die Wahrheit und mit der Wahrheit verbundene Freude gewinnt (so in Majjhima Nikaya 48).

Der Wohlgeschmack der Tugend ist ebenso wie die Wohlgeschmäcke der Lust und der Wahrheitsfindung durch Befriedigung eines innewohnenden Verlangens bedingt. Dieses Verlangen nach tugendhafterem Lebenswandel, nach sittlicher Zucht, nach einer sauberen, edleren, würdigeren Lebensführung kann tendenzbedingt sein oder kann einsichtsbedingt sein und kann aus beiden Quellen gespeist werden..

Wer aus dem Grundzug seines Herzens oder aus neugewonnenen tieferen Einsichten für sich selber den Wunsch und das Verlangen hat: "Ich will gerecht sein, wahrhaftig sein, ich will gut sein, ich will den anderen Menschen Freude machen, will den Ängstlichen beruhigen, den Armen und Kranken helfen, will den Traurigen trösten, will in den Mensch und Tieren Brüder und Schwestern sehen" - wer so oder ähnlich denkt und empfindet, in seinen Worten und Taten sich immer mehr danach richtet, der empfindet allein von daher ein helleres und höheres inneres Gefühl, als derjenige, der rücksichtslos seine sinnlichen Interessen verfolgt und sich nicht bemüht, die Mitwesen als solche zu erkennen und ihnen beizustehen.

Dieser aus Sittlichkeit hervorgehende Wohlgeschmack ist den meisten Menschen wenigstens aus gelegentlichen Erfahrungen bekannt, während der Wohlgeschmack der Lust jedem Menschen vorwiegend bekannt ist. Einen Aspekt dieses aus rechtem, tugendlichen, d.h. tauglichem Verhalten hervorgehenden Wohlgeschmacks nennt das Sprichwort: "Ein gutes Gewissen ist ein sanftes Ruhekissen." Damit ist nicht nur ein ungestörter Schlaf ohne Beklemmung und Angst gemeint, sondern überhaupt eine innere Beruhigung und Sicherheit im gesamten Lebenslauf, ja, ein bestimmter Grad von Geborgenheit, der den Menschen bewusst oder unbewusst durch das Leben begleitet.

Der Wohlgeschmack des Herzensfrieden, um dessen Erlangung es in der o.g. Lehrrede geht, ist wiederum ein ganz anderer und erheblich höher als der Wohlgeschmack der Tugend. Mit dem Wohlgeschmack der Lust ist er unvergleichbar.

Zwar gewährt auch die Innehaltung der Tugendregeln schon einen gewissen Frieden im Herzen, der wahre Herzensfriede aber ist ein Wohl, das aus vollständiger Unabhängigkeit entspringt. Der Herzensfrieden beruht auf der Unabhängigkeit von aller sinnlicher Vielfalt, auf der Unabhängigkeit von allen äußeren Dingen.

Das Pali-Wort samadhi, das wir hier mit "Herzensfrieden" übersetzen, bedeutet so viel wie "innen stillstehen". Der Erwachte vergleicht den normalen, der vielfältigen sinnlichen Wahrnehmung bedürfenden, nach ihr dürstend verlangenden Menschen mit einem Mann, der an sechs Stricken sechs verschiedene Tiere mit sich führt (entsprechend den fünf Sinnesdrängen und dem Denkdrang), deren jedes in eine andere Richtung hinzerrt, so dass der Mann keine Ruhe findet. Das ist die vielfältige Zerissenheit, Zerfahrenheit und Zerstreutheit des gewöhnlichen Menschen. Dagegen wird unter "samadhi" die Gestilltheit der Sinnesdränge verstanden. Noch deutlicher kommt der gleiche Zusammenhang in dem Palibegriff citt'ekagatta (Geeintsein des Herzens) zum Ausdruck: Das Herz hat an sich selbst genug, ist ganz bei sich, eins mit sich. Unabhängig geworden ist ein solcher von dem gesamten Welterleben mit den Sinnen, er ruht in sich, lebt im vollständigen Herzensfrieden, bedarf der sinnlichen Wahrnehmung nicht zu seinem Wohlbefinden, sondern bedient sich ihrer nur zur Aufrechterhaltung und Pflege des Körpers und beim Umgang mit anderen. Diese erworbene Unbedürftigkeit bewirkt, dass er die gesamten weltlichen Erscheinungen nicht mehr mit der früheren Blendung sehen kann, sondern nüchtern, neutral, ja geradezu "entlarvt" sieht und darum "nichts mehr an ihnen finden kann (nibbindati)".

Der höchste aller Wohlgeschmäcke ist aber der Wohlgeschmack der endgültigen Erlösung, er ist unübertrefflich. Da er von einem normalen Menschen nicht erfahren und erlebt wird, so lässt er sich auch kaum beschreiben. Schon der Wohlgeschmack des Herzensfriedens ist sehr selten in der Welt zu finden, jedenfalls wird er den Menschen sehr selten bewusst.

Der Kenner der Lehre weiß, dass mit diesem Wohlgeschmack der Erlösung das Nibbana gemeint ist. Manche der von allen Trieben befreiten Mönche erreichen diesen zeitweilig schon bei Lebzeiten durch die zeitweilige Auflösung von Gefühl und Wahrnehmung. Der Erwachte beschreibt diese Aufhebung von Gefühl und Wahrnehmung als den Zustand des allerhöchsten, des unübertrefflichen Wohls. Aber jeder Geheilte erfährt die Aufhebung von Anziehung, Abstoßung und Blendung als Wohl der Erlösung.

Doch es gibt auch einen Vorgeschmack der Erlösung, der den Menschen eher zugänglich ist. Diesen Vorgeschmack kennt der in die Heilsanziehung Geratene, der in den Strom Eingetretene, derjenige Nachfolger der Lehre, welcher bis zum Grunde begriffen hat, dass und warum die fünf Zusammenhäufungen, die fünf Faktoren der Existenz, nämlich: Form, Gefühl, Wahrnehmung, Aktivität und programmierte Wohlerfahrungssuche, zwar dauernd bewegte und darum "lebendig" erscheinende Erscheinungen sind, die aber doch nur automatisch bewegt und geschoben und darum tot sind, sich gegenseitig bedingen, in dauerndem Wechsel und Wandel befindliche sind. Er wiß, dass an ihnen und in ihnen nichts Lebendiges und Beständiges ist. Dieser Vorgeschmack bestärkt den Heilsgänger immer mehr darin, von jenen fünf Zusammenhäufungen abzulassen, dort nicht mehr zusammenzuraffen, sondern zurückzutreten, damit seine Tendenzen schwächer und geringer werden, bis er im Laufe der Zeit zur völligen Auflösung aller Triebe kommt und damit zum Nibbana, zum vollkommenen Wohlgeschmack der Erlösung.

Das sind die fünf Wohlgeschmäcke der Existenz, außer ihnen gibt es keine anderen. Alles was subjektiv an Wohl empfunden werden kann und was objektiv an Wohl vorhanden ist, ist in diesen Wohlgeschmäcken enthalten.

Aber zu jedem dieser fünf Wohlgeschmäcke gehört auch ein den fünf Gruppen entsprechender Wehegeschmack, denn ebenso wie durch die Befriedigung sinnlicher Bedürfnisse der Wohlgeschmack der Lust entsteht, so entsteht durch die Nichtbefriedigung sinnlicher Bedürfnisse oder auch durch solche Erlebnisse, welche den sinnlichen Bedürfnissen entgegengesetzt sind, ein Wehegeschmack, entstehen genau entsprechende sinnliche Wehgefühle von vielerlei Arten bis zu den entsetzlichsten Formen.

Und ebenso wie es durch Befriedigung der geistigen Bedürfnisse des wahrheitssuchenden Menschen der Wohlgeschmack der Wahrheitsfindung gibt, so gibt es für den selben Menschen, solange er sich auf vergeblicher Wahrheitssuche befindet, auch einen entsprechenden Wehegeschmack, den geistigen Schmerz aus der Erkenntnis des Unwissens und der durch das Unwissen bedingten Abhängigkeit und Geworfenheit.

Genauso wie es den Wohlgeschmack der Tugend gibt durch die Befriedigung moralischer Bedürfnisse, so gibt es auch das Whe der Nichtbefriedigung moralischer Bedürfnisse: die Reue, die Selbstvorwürfe, die Gewissensqualen, gleichviel, ob diese bewusst oder unbewusst sind.

Ebenso wie es den Wohlgeschmack des Herzensfriedens gibt, der Einigung des Herzens aus der Befriedigung des fast jedem Menschen innewohnenden verborgenen und überweltlichen Verlangens nach Überwindung weltlicher Unzulänglichkeit, Unwürdigkeit, Abhängigkeit, Zerstreutheit und Vielfalt, nach einer tiefen außerweltlichen Geborgenheit, ganz ebenso gibt es, den Menschen mehr oder weniger bewusst oder unbewusst, das schmerzliche Gefühl des sinnlosen Umherirrens durch diese Welt der tausend Dinge, der Fesselung an Irrtum, Wandelbarkeit und Flachheit, der sinnlosen Hetze durch die Tage des sogenannten Lebens bis zum sogenannten Tode.

Und ganz ebenso auch wie es den feinsten und höchsten Wohlgeschmack der Erlösung gibt, wohnen alle Nichterlösten, die aber von der Erlösungsmöglichkeit wissen, ununterbrochen in einem feinen und hohen Wehgefühl, das durch die Nichterlösung, durch das ununterbrochene Anbranden und Zurückfluten von Formen, Gefühlen, Wahrnehmungen, Aktivitäten und programmierter Wohlerfahrungssuche bedingt ist. Das sind die fünf Arten von Wohlgefühlen und die fünf Arten von Wehgefühlen, die es in der Existenz gibt.

Natürlich kann der Mensch die jeweils höheren Wohlgeschmäcke durch entsprechende Übungen und Pflege gewinnen, und die Lehre des Erwachten hat gar kein anderes Ziel, als den Menschen durch die verschiedenen Wohlgeschmäcke hindurch bis zum höchsten Wohlgeschmack der Erlösung zu führen mit all den Folgen, welche diese immer höheren Wohlgeschmäcke in existentieller Hinsicht nach sich ziehen bis zu dem ununterbrochenen Wohlgeschmack der Erlösung, der, da er durch nichts Vergängliches und Bedingtes mehr bedingt ist, dann auch ohne Ende, also ewig besteht.

 

Quelle: Paul Debes, Wissen und Wandel 1999 (stark gekürzt)