Drei Arten von Wundern gibt es, Kevatto, die ich kenne, gewirkt und verkündet habe.

Welche drei?

Das Wunder der Geistesmacht, das Wunder der Wahrsagung, das Wunder der Unterweisung.

(Digha Nikaya Nr. 11)

Der Begriff Wunder, den der Erwachte hier von dem Fragenden, dem Hausvater Kevatto, übernommen hat, wird immer dort gebraucht, wo das Wissen nicht hinreicht. Wenn wir Wirkungen sehen, ohne die Ursache zu erkennen, und wenn wir gar meinen, dafür könnte es keine normale, reale Ursache geben, dann sagen wir: "Das ist nicht mit rechten Dingen zugegangen, das ist ein Wunder." Aber praktisch hat jede Erscheinung ihre Ursache. Wir kennen nur viele Ursachenmöglichkeiten nicht. Wenn wir sie kennenlernen würden, gäbe es keine Wunder mehr. Für einen Geheilten gibt es keine Wunder.

Unser Thema hier ist das erste der drei vom Buddha genannten "Wunder": Die Geistesmacht, bzw. die Machtfährten, die Grundlagen, die dorthin führen.

Es gibt vier Fundamente der Geistesmacht, vier Machtfährten, vier Übungen. Sie sind die Domäne des Geistesmacht Erstrebenden, der nicht mehr von dem als "Materie" empfundenen abhängig sein will, nicht mehr "ohnmächtig" sein will.  Im engeren Sinne sind sie Stufen zur magischen Machtentfaltung, im weiteren Sinne aber Stufen zu den wichtigsten Weisheitsdurchbrüchen.

Die Mönche sind ja in den Orden eingetreten, um das Leiden des Immer-wieder-Geborenwerdens durch Tilgung jeglichen Durstes aufzugeben und nicht etwa, um den Ich-bin-Dünkel durch Zurschaustellung erworbener Geistesmacht zu festigen. Die Geistesmacht ist für den nach Herzensreinheit Strebenden ein Nebenprodukt der Läuterungsbemühungen, aber ihr Erwerb zeigt, dass der Übende sinnliches Begehren und damit den Materieglauben und damit die Gebundenheit an Materie aufgehoben hat. Darum neigt der gläubig ergebene dazu, die Beherrschung der Materie als Heiligkeit des geistesmächtigen Mönches zu deuten: "So heilig ist mein Lehrer, dem Ziel so nah, dass er dies vermag." Aber der Erwachte weist darauf hin, dass der nicht-gläubig ergebene dem gläubig ergebenen entgegenhalten könne, dass die gezeigte Überwindung der Materiegesetze nicht ein Zeichen innerer Freiheit von Sinnensucht zu sein brauche, dass es auch bloße Zauberei sein könne.

Wir kennen die Begriffe "schwarze" und "weiße" Magie. Wird die Geistesmacht aus übler Absicht ausgeführt, nennt man sie "schwarze Magie", wird sie aus guter Absicht ausgeführt, nennt man sie "weiße Magie". Heute behaupten Menschen, die sich als "aufgeklärt" bezeichnen, dass es weder schwarze noch weiße Magie gäbe, dass alles, was als Magie bezeichnet werde, auf Täuschung und Trug, auf geschickte Schauspielerei beruhe.

Der Erwachte sagt: Es gibt eine alle menschlichen Normen übersteigende Geistesmacht. Aber diese Geistesmacht bedarf eines bestimmten Fundaments, besteht nur auf diesem und mit diesem. Dieses Fundament besteht im weltunabhängigen Herzensfrieden (samadhi). Doch auch den Samadhi kann der Mensch nicht ohne weiteres entwickeln, sondern er muss erst durch Beschreiten des achtgliedrigen Weges dazu fähig werden.

Die Geistesmacht selbst besteht in Handlungen bzw. Fähigkeiten, sich von der sogenannten Materie, sowohl der des Körpers wie der der Umwelt, keine Schranken setzen zu lassen.

Die über "die Materie" verfügende Macht des Geistes war nicht nur vielen Mönchen und Nonnen des Buddha eigen und auch nicht nur im vorbuddhistischen und nachbuddhistischen Indien allgemein bekannt, sondern sie wird auch aus allen anderen Kulturen berichtet; die sogenannten "Wunder" von Jesus in Vorderasien bilden da keine Ausnahme. Und Jesus sagt zu seinen Jüngern, dass alle, die an ihn glauben, eben solche und auch größere Werke tun können wie er. Und auch aus der Geschichte der christlichen Mystik im Abendland liegen Tausende von Berichten aus Klöstern, Einsiedeleien und auch Bürgerhäusern über solche eindeutigen Zeichen der Geistesmacht vor.

Die folgende Feststellung des deutschen Physikers Werner Heisenberg lässt die vom Erwachten aufgezählten Wunder fast schon ohne Kenntnis der tieferen Psychenlehre des Buddha denkbar machen: "Die kleinsten Einheiten der Materie sind tatsächlich nicht physikalische Objekte im gewohnten Sinne des Wortes: sie sind Formen, Strukturen oder - im Sinne Platons - Ideen." Der bekannte amerikanische Physiker John Wheeler sagt: "Der Kosmos ist nichts unabhängig von uns existierendes."

Alles, was wir von der Welt wissen, das wissen wir durch Wahrnehmen, Erleben. Wir meinen zwar, dass wir es in unsere Wahrnehmung aufgenommen haben, weil es die Sinne von außen aufgelesen hätten, aber wir wissen davon erst in dem Augenblick, in dem es als Wahrnehmung in das Bewusstsein eintritt, d.h. in den Geist als der Gesamtheit aller Erlebnisse, Vorstellungen und Erinnerung. Die meisten Menschen halten nicht nur die Vernichtung des Körpers für die Vernichtung auch des Geistes, sondern sie halten auch die Mauern und Wände aus innerer krankhafter Einbildung - aber aus weit verfestigter und ohne Zurücklegung des Übungsweges nicht auflösbarer Einbildung - für undurchdringlich, obwohl sie doch in Wirklichkeit nicht aus Stein bestehen, sondern aus Wahrnehmung. Insofern stehen wir weit unterhalb dieser Geistesmacht. Unser Wesen hat sich vollgesogen mit der Einbildung von der Gegenständlichkeit der Materie. Und diese Vollgesogenheit, diese zur "fixen Idee" gewordene Erwartungshaltung bewirkt, dass wir "erleben", dass unser Körper an anderer "Materie" zerschellen kann und nicht einfach hindurchdringen kann.

Unser Wahn (avijja) bewirkt, dass wir auch das für natürlich halten. Das ist unsere geistige Ohnmacht. Die Grundlage, das Fundament der Geistesmächtigkeit, kann allerdings nur ganz allmählich geschaffen und ausgebaut werden. Darum sagt der Erwachte, dass die Grundlage der Geistesmacht in einem Weg besteht, der nur durch fortschreitende Übung zurückgelegt werden kann. Die Tatsache der Wahrnehmungshaftigkeit ist nicht ein Traum, wie etwa den meisten ein Traum erscheint aus dem Bereich von Schemen, die etwa wie Wolkengebilde so oder so entstehen, vielmehr ist alle unsere Wahrnehmung, obwohl sie nicht aus der Welt kommt, dennoch fest gegründet, und zwar in den Qualitäten unseres Herzens. Kein Mensch kann Wahrnehmungen haben, die nicht durch die Qualitäten seines Herzens, seines Charakters begründet sind. Daher sind die Schauungen (jhana) und dadurch Sinnensuchtfreiheit wichtige Voraussetzungen für die Machtfährten.

Die erste Machtfährte betrifft den "Willen" (chanda), den Fleischleib samt der beschränkten an ihn gebundenen Wahrnehmungs-Perspektive zu überwinden. Und das geschieht, indem der den Fleischleib durchziehende feinstoffliche Körper, der "Astralleib" mit seinen Sinnen, vor allem dem himmlischen Auge, erstmals aktiv wird. Wo intensiv genug die Ablösung von den fünf Hemmungen und damit von der Körperverstrickung bewirkt ist, da lockert sich der Astralleib im Fleischleib und "blinzelt" sozusagen, d.h. er beginnt ohne das fleischliche Auge zu sehen, wie in den Lehrreden berichtet wird. Im Traum und vor allem im Tode steigt dieser "feinstoffliche Körper" (dibba-kaya) bei jedem Menschen aus, unwillkürlich. Der Wille dazu ist meist unbewusst, ist ein Triebwille, der noch nicht zu lenken ist. Im Tode geht dieser Leib dahin, wo er karmisch hingehört. So mag das nächtliche "Aussteigen" nun klarer erlebt werden, als ein zwar passiver Vorgang, der aber seine eigene Willensdynamik hat.

Die zweite Machtfährte ist gestützt auf "Tatkraft" (viriya): Jetzt beginnt man den Triebwillen des Astralleibes lenken zu können, mit Anstrengung, mit Bemühen, eben mit tatkräftigem Einsatz lässt sich das Aussteigen aus dem Fleischleib meditativ steuern.

All das aber geschieht durch die Ausbildung des sogenannten Mental-Leibes, des geistgebildeten Körpers (mano-maya-kayo), der weit mehr ist als der Astralleib, mit dem man im Schlaf oder im Tod aussteigt. Der Astralleib ist noch sinnlich, ist der feinstoffliche Abklatsch des Fleischleibes; der Mental-Leib ist dagegen ganz anders, ein Wunderding schlechthin. Es ist ein geistiger Leib, den die Hindus yog`aggi-maya sarira nennen, d.h. "Im Feuer des Yoga gebildeter Leib". Derselbe Prozess der Ausbildung des Mental-Leibes geht übrigens auch bei den Schauungen (siehe dortiges Kapitel) vor sich. Zum zweiten Machtgebiet gehört besonders, dass sich das Bewusstsein gezielt mehr oder weniger ruckartig vom Fleischleib löst und die Wahrnehmung von Fliegen sich einstellt, jedenfalls von Leichtigkeit und Bewegung. Sowie aber eine der fünf Hemmungen (siehe dortiges Kapitel), vor allem die erste, wieder auftaucht, reißt der "Film" und wie mit einem Gummiband ist das Bewusstsein wieder in der gewohnten Dimension des Fleischleibes.

Die dritte Machtfährte ist gestützt auf das "Herz" (citta), d.h. es ist nun keine Anstrengung mehr nötig, das Herz gehorcht der leisesten Absicht, es ist hinsichtlich des "Astralreisens" sofort lenkbar und dirigierbar.

Die vierte Machtfährte ist gestützt auf "Prüfen und Erwägen" (vimamsa). Da wird der gesamte Zusammenhang zwischen Fleischleib, Astralband, Astralleib und vor allem Geistleib leibhaftig als Geschmack der Befreiung vom Leiden der Fesselung an den sterblichen Leib erfahren. Es entsteht dadurch Wissensklarheit. Ein Gleichnis dazu zeigt: Der kostbare Besitz des "Ich", der Fleischleib, gleicht jetzt durch die Läuterung einem durchsichtigen Edelstein, der nur noch am seidenen Faden des Bewusstseins hängt, der aber zugunsten eines noch höheren Besitzes losgelassen werden kann - wie ein scharfsehender Beobachter sehen kann.

Klarheit auch über den Mentalleib (mano-maya-kaya), der nicht mit dem feinstofflichen Sinneskörper (dibba-kaya) zu verwechseln ist. Wovon er jetzt in leibhaftiger Erfahrung Kenntnis erlangen kann, ist eine sozusagen "masselose" Leibstruktur, der Mentalleib. Dieser Leib kann aus dem Fleischleib herausgezogen werden, wie wenn man aus einem Grashalm das Innere herauszieht (noch mühsam) oder wie wenn man aus der Scheide das Schwert ziehen kann (es kann noch klemmen) oder wie wenn man aus einem Korb eine Schlange nimmt. Letzteres geht ganz leicht, wenn man mit Schlangen umgehen kann oder, noch sicherer, wenn sie kein Gift haben. Mit diesem derart erfahrenen Mentalleib kann man nun alle Arten von Magie erleben. Er ist die Grundlage aller Möglichkeiten übersinnlicher Fähigkeiten.

Zum Verständnis: Der derart übende Mönch hat zwar im Geist das, was er als vier Elemente wahrnimmt, als nicht-objektiv, nicht an sich bestehend durchschaut, aber aus tief eingewurzelter und gepflegter Gewöhnung empfindet er doch immer noch so, als ob da ein "Außen" wäre, das "ihn" beeinflusste. Nun aber steht ihm mit dem geistgebildeten Leib ein Werkzeug zur Verfügung, das aus demjenigen "Material" gemacht ist, aus dem auch das Herz und seine Auswirkungen ("Name") gemacht sind, nämlich aus Geist. Deshalb kann dieser Mentalleib die ebenfalls aus Geist gebildete Wahrnehmung unmittelbar und nach Belieben bearbeiten - ebenso wie man heute mit gebündeltem Licht (Laser) dicke Stahlplatten schneiden kann, was noch vor wenigen Jahrzehnten als Magie bezeichnet worden wäre.

Unser Geist hat bei unserem Körper einen so tief eingeprägten und ausgebildeten Eindruck von Festigkeit, Flüssigkeit, Wärme und Luftart, dass er von der Zerbrechlichkeit dieses Körpers bei der plötzlichen harten Begegnung mit anderen Gegenständen fest überzeugt ist, ja, dass er es auch so "erlebt". Die Geistesmächtigen aber, die diesen Wahn aufgelöst haben, gehen durch unsere "Gegenstände" hindurch, sitzen in der Luft, wandeln auf dem Wasser, werden unsichtbar oder vielfältig, und manche Mönche haben später, nachdem sie das Nirvana erreicht hatten, ihren Körper vor den Augen von vielen anderen Mönchen plötzlich aufgelöst. Vor allem aber kann der Mönch mit dem Mentalkörper alle Diesseits- und Jenseitsbereiche besuchen, mit allen bösen und guten Geistern sprechen und sich über deren Existenzform unterrichten, bis hin zur Brahmawelt, in der auch der Buddha öfter erschien.

Noch anzumerken ist:

Als zweites "Wunder" spricht der Buddha vom Wunder der "Wahrsagung", wozu u. a. die Fähigkeit des Gedankenlesens gehört. Diese kann auch zu schwarzmagischen Zwecken missbraucht werden oder zum Geschäft werden.

Aber die Herzenskunde auf dem Fundament der Herzenseinigung ist ein besonderes Charisma, dass für den Erfahrer selbst und für andere großen Nutzen mit sich bringt. Der Erfahrer gewinnt ein schlechthin universales Verständnis der Psyche. Es gibt keine Charaktereigenschaft, keinen Trieb, den er nicht kennt.

Das dritte "Wunder" ist das Wunder der Lehrunterweisung. Dieses lezte Wunder, das bei weitem wichtigste und wertvollste "Wunder", besteht darin, dass ein Mensch durch rechte Anleitung eines Buddha ganz und gar umgewandelt wird, dass er nach dieser Umwandlung, Umerziehung ein ganz anderer ist, so dass er gar aus dem Wahntraum erwacht, wie dies auch aus der Einladung zu der Wegweisung des Erwachten hervorgeht (Majjhima-Nikaya 80):

Willkommen sei mir ein einsichtiger Mann,

offen, ehrlich, eine aufrechte Natur.

Ich unterweise ihn in der rechten Übungsweise.

Ich zeige ihm die Zusammenhänge auf.

Wenn er nach der Unterweisung sich einübt,

dann wird er in nicht langer Zeit

bei sich selbst erfahren,

bei sich selbst erkennen:

"Wahrlich, auf diese Weise

wird man da völlig befreit

von der schlimmsten Binde:

nämlich von der Binde des Wahns!