"Alle Wesen bestehen durch Nahrung" - dies ist gemäß dem Buddha (Anguttara Nikaya X, 27) die einzige Tatsache des Lebens, die es verdient, dass man sich ihrer vor allem anderen erinnert, sie betrachtet und versteht.

Wenn diese Aussage weit und tief genug verstanden wird, dann enthüllt sich tatsächlich eine Wahrheit, die zu den Wurzeln der ganzen Existenz und zu deren Aufhebung führt. Auch hier bewies der Buddha, dass er jemand war, "der bis zur Wurzel blickt".

Die Gesetze der Nahrung (ahara) bestimmen sowohl das biologische wie das geistige Leben, und diese Tatsache wurde vom Buddha dadurch ausgedrückt, dass er von vier Nahrungsarten sprach. Welche vier?

1. Essbare, körperbildende Nahrung, grob oder fein.

2. Sinneseindrücke, Berührung.

3. Geistiges Beabsichtigen und Anstreben.

4. Bewusstsein, programmierte Wohlerfahrungssuche.

Die vier Nahrungen oder Ernährungen zeigen, dass die Wesen Hungerleider, Vacua sind, die ohne diese vier Arten von Nahrung nicht bestehen können. Sie müssen sinnlich, seelisch und geistig befriedigt werden. Der Körper muss ernährt werden, die Triebe lechzen nach Befriedigung, der Geist nach Betätigung. Ohne Berührung der Triebe kann ein Wesen nicht bestehen, Die Abhängigkeit der Wesen von Nahrung offenbart die ganze Leidhaftigkeit des Daseins.

Begehren ist die Hauptbedingung für jedes "Einnehmen" oder "Aufnehmen", das heißt von Nahrung im weitesten Sinn. Dies ist der erste Faktor, der allen Nahrungsarten eigen ist, seien sie physisch oder geistig.

Der zweite gemeinsame Faktor ist der Prozess der Assimilation der Nahrung. Im Prozess des Essens und des Verdauens wird das, was außen war, ins Innere einverleibt; was fremde Materie war, wird `seine eigene`, und sie wird mit der Persönlichkeit identifiziert. Ein deutsches Sprichwort sagt: "Der Mensch ist, was er isst." Und dies trifft ebenso auf geistige Ernährung zu. Auch unser Geist versorgt sich mit "äußerem" Material: mit Sinneseindrücken und mannigfaltigen Erlebnissen, mit dem Wissensschatz, der sich in einem Volk angesammelt hat, und mit den Niederschlägen aus all diesen Quellen. Auch unsere Erinnerungen sind, wenn sie Geistesobjekte werden, im Verhältnis zum gegenwärtigen Denkmoment genauso äußerlich, wie die Vorstellungen es sind, über die wir in einem Buch lesen. Was sich das System nicht einverleiben kann, wird abgestoßen, und deshalb gibt es sowohl im Körper wie im Geist einen ständigen Prozess des Ergreifens und Abweisens, des Assimilierens und des Dessimilierens, des Identifizierens und des Entfremdens.

Und wenn wir diesen Prozess körperlicher und geistiger Ernährung genau betrachten, werden wir feststellen, dass es nicht nur der Esser ist, der die Nahrung verzehrt, sondern im Verlaufe der Assimilation verzehrt die Nahrung auch den Esser. Es gibt deshalb zwischen ihnen die Beziehung des gegenseitigen In-sich-Aufnehmens. Wir wissen, wie stark die Menschen (zum Besseren oder Schlechteren) durch Ideen verändert werden können, welche sie in sich aufgenommen haben und wovon sie schließlich absorbiert und verzehrt wurden.

Im einzelnen:

1. Die körperbildende Nahrung besteht aus den vier Grundbeschaffenheiten (Festes, Flüssiges, Temperatur, Luft). Die sich wiederholende Monotonie des Ernährungsprozesses wird durch den Trieb in Gang gehalten, das Leben zu bewahren - dies genügt, um die Dukkha-Natur des Lebens und das ermüdende Wesen des eintönigen Kreislaufs von Essen und Wieder-hungrig-Sein zu enthüllen. Das Leiden, das allein schon dem Vorgang des Essens innewohnt, obwohl dieser grundlegendste Tatbestand des normalen Lebens gewohnheitsmäßig verborgen bleibt. Das konkrete Leiden und der Schmerz, die mit der Suche nach Nahrung und Sicherstellung verbunden sind, treten für alle deutlich genug in Erscheinung, und dieses Elend war, ist und wird des Lebens ständiger Begleiter sein. Das stumme Leiden gibt es in der Tierwelt, wo "einer den anderen auffressen Gesetz ist" (und der Mensch macht mit, indem er Tiere sogar zu Nahrungszwecken schlachtet); wir kennen den Kampf des primitiven Menschen um Weideland (ursprünglich das gleiche wie die Kriege des modernen Menschen um `Weltmärkte`), wir kennen auch die Hungersnöte unter den Armen und die verhungernden Kinder auf der ganzen Welt. Und obwohl die Nahrungsmittelmenge zur Ernährung der Menschheit in unseren Tagen beträchtlich zugenommen hat, hat der Mensch die Hungersnöte noch immer nicht im Griff, selbst dort nicht, wo dies in seiner Macht stünde; und jeder Fortschritt auf dem Gebiet der Nahrungsmittelproduktion ist von der Gefahr bedroht, durch die rasche Zunahme der Weltbevölkerung in seinen Auswirkungen geschmälert zu werden.

Da die Nahrungssuche eine immerwährende Quelle des Leidens ist, kann sie als solche des Menschen Sinn für das Dringliche wachrütteln, wenn er im Lichte der Nahrung sein eigenes Wesen, seine unaufhörlichen Bedürfnisse und seine Situation in der Welt bedenkt.

2. Der Sinneseindruck, Berührung (Pali: phass-ahara) ist eine Grundnahrung, er ist eine das Leben erhaltende Bedingung, und was von ihm genährt und bedingt wird, sind die Gefühle oder Empfindungen, die von der Vielzahl der ständig auftretenden Sinneseindrücke leben und sie als angenehm, unangenehm oder neutral aufnehmen. Gemäß der buddhistischen Psychologie ist der Sinneseindruck ein Grundbestandteil in jeglichem und jedem Geisteszustand, sei er der niedrigste oder der höchste, und er kommt auch im Traum und in unterschwelligen Bewusstseinszuständen vor.

Die Nahrung Sinneseindruck nährt die "Welt als Genuss" oder die "Welt als Genuss der Erlebnisse". Sie nährt das Daseinsbegehren (bhava-tanha). Dieses gewohnheitsmäßige Begehren kann nur aufgehoben werden, wenn man damit aufhört, sich mit dem Strom der Eindrücke zu identifizierten, und wenn man auf aktives Reagieren verzichtet.

3. Die Nahrung "willentliches Denken" offenbart sich in des Menschen unaufhörlichem Trieb, zu planen und anzustreben, zu kämpfen und zu besiegen, aufzubauen und zu zerstören, zu machen und ungeschehen zu machen, zu erfinden und zu entdecken, zu formen und umzuformen, zu organisieren und zu erschaffen. Das Anstreben ist die Reaktion auf den jeweiligen sinnlichen Eindruck und vollzieht sich im Geist als Erwägen und Sinnen. Alles Beabsichtigen und Anstreben ist stets auf die Abwendung von Unangenehmem und Schmerzlichem oder auf die Erlangung von Wohltuendem gerichtet. Diesen Zusammenhang zeigt der Erwachte in dem Gleichnis, das er für die dritte Nahrung gibt: Man stelle sich vor, dass da eine glühende Kohlengrube wäre, und ein Mann käme in ihre Nähe, strebte aber bald fort, da er die glühende Hitze merkte. Nun kämen mehrere kräftige Männer und zerrten ihn an die Grube heran, um ihn hineinzuwerfen. Würde der Mann nicht auf jede mögliche Weise die Glieder zurückziehen, um von dort fort zu kommen?

Deutlicher als mit diesem Gleichnis kann man kaum zeigen, dass alle Aktivität des Menschen, alles Anstreben und Beabsichtigen immer nur Re-Aktion auf jedes herankommende Erlebnis ist. Existenz, Leben ist nichts anderes als ein immer erneutes Gefährdetsein und ein immer erneutes Bemühen um Abwendung der Gefährdung. Aus diesem immer erneuten Streben des unwissenden Menschen, unangenehme Gefühle und Wahrnehmungen abzuwenden und angenehmere Gefühle und Wahrnehmungen zu erzielen, geschieht dann auch immer neues Erwägen und Sinnen, das, wenn er die wirklich heile Situation nicht kennt, immer wieder nur vergeblich ist, nicht dauerhaft zu den angestrebten Gefühlen und Wahrnehmungen führt und darum immer neu erstehen muss in endloser Wiederholung.

Wieso bezeichnet der Erwachte das geistige Beabsichtigen als Ernährung? Jeder Willensentschluss und jede Absicht ist ja eine Entscheidung für irgendetwas und damit dessen positive Bewertung und ist zugleich eine negative Bewertung des Gegenteils. Durch positive Bewertungen werden Tendenzen verstärkt, durch negative Bewertungen werden Tendenzen geschwächt. Darum ist positive Bewertung Ernährung, negative Bewertung Nahrungsentzug.

Willentliches Denken bedeutet Karma, das heißt, Wiedergeburt erzeugendes und Leben bejahendes Handeln.

4. Die vierte Ernährung ist das Bewusstsein, die programmierte Wohlerfahrungssuche. Sie bezeichnet der Erwachte als Ernährung für das Psycho-Physische (nama-rupa). Es ist die programmierte Wohlerfahrungssuche, die programmiert ist, die Sinnendinge an den Körper mit den Sinnesdrängen heranzuholen zum Zweck der Berührung, der Ernährung der Triebe, der Sinnesdränge.

Das Verlangen nach bewusster Vergegenwärtigung hat den gleichen Charakter wie das Verlangen nach Sinneseindrücken: das Begehren, lebendig zu sein, sich bei der ständigen Begegnung mit der Welt der Objekte, die sich dem Bewusstsein darbieten (oder die sich im Bewusstsein darbieten - wie die Idealisten es zu sagen vorziehen), lebendig zu fühlen.

Es gibt die Beschreibung des Bewusstseins (vinnana) als Nahrung auch, wenn wir in Betracht ziehen, dass es als Wiedergeburts-Bewusstsein erklärt wird. Das Wiedergeburtsbewusstsein, obwohl es das Geschehen eines einzigen Moments ist, "nährt" den Geist-Körper-Prozess der gegenwärtigen Existenz; und das Entstehen solcher Momente des Wiedergeburtsbewusstseins am Anfang jedes nachfolgenden Lebens setzt die endlose Kette zukünftiger Geburten, Tode und Leiden fort. Wachsen oder Wuchern ist ja ein charakteristisches Merkmal allen Bewusstseins. Jedes Wiedergeburtsbewusstsein hat, obwohl es direkt mit dem vorhergehenden Leben verbunden ist, einen unerschöpflichen Speicher der anfangslosen Zeit hinter sich, eine riesige Kornkammer potentieller Lebenskeime. Aus den dunklen, unergründlichen Tiefen der Vergangenheit genährt, lauert das Bewusstsein, einem Tintenfisch gleich, nicht mit acht, sondern mit tausend Armen - bereit zuzugreifen und sich festzuklammern, wo immer sich dafür eine Gelegenheit bietet, um dort eine neue Zucht von Wesen mit greifenden Tentakeln hervorzubringen.

Quellen: Nyanaponika: Im Lichte des Dhamma, Paul Debes: Begriffe der Buddha-Reden mit Erklärungen.