Wie ich aus eigener Erfahrung weiß, ist es für alle Beteiligten sehr wichtig, die Probleme zu benennen. Sehr geholfen hat mir ein Buch von Jack Kornfield, aus dem ich im Folgenden zitiere. Es spricht einige Erfahrung und Weisheit daraus.

In der indischen Tradition gibt es eine große Verantwortung des Lehrers für das Wohlergehen und die Bildung seines Schülers - eine Tatsache, die die Entlehnung des indischen Wortes Guru in westliche Sprachen widerspiegelt. Die Geisteshaltung, wie sie im alten buddhistischen Indien vorzufinden war, ist heute im Westen längst verlorengegangen.

Daher haben westliche spirituell suchende Menschen oft ein sehr unrealistisches Bild von einem spirituellen Meister und stellen sich vor, sie müssten einen Lehrer finden, der eine Art allwissender und allmächtiger Gott ist, und viele spirituelle Gemeinschaften unterstützen dieses übertriebene Konzept.

In das entgegengesetzte Extrem verfallen Schüler, die besonders vorsichtig sind und Schwierigkeiten haben, einen anderen Menschen zu respektieren oder in irgendeiner Weise als überlegen anzuerkennen, und die nicht akzeptieren können, dass ein anderer tatsächlich mehr weiß als sie selbst.

Sicherlich ist es ein Segen, einem echten Freund und spirituellem Wohltäter zu begegnen, aber die Gefahren sind groß. Heutzutage leben wir in einer Art spirituellem Supermarkt - ein reichhaltiges Angebot von Lehrern, aus dem wir wählen können. Diese oder jene Philosophie vermitteln und sich so gut verkaufen, dass schnell eine große Anhängerschaft entsteht, das können viele.

Es gibt vier hauptsächliche Problembereiche, in denen Lehrer und Gemeinschaften am häufigsten in Schwierigkeiten geraten. Der erste ist der Missbrauch von Macht. Häufig kommt dies in Gemeinschaften vor, in denen alle Macht beim Lehrer liegt, dessen Wünsche blind befolgt werden, ohne dass jemand nach den Konsequenzen fragt, die sich für die Schüler ergeben mögen. In diesem Fall tritt absolute Macht an die Stelle der Liebe. Manchmal manipulieren Lehrer das Leben ihrer Schüler für ihre eigenen Zwecke, indem sie zum Beispiel über Eheschließung oder Scheidung oder die Art der Lebensführung bestimmen und sogar Schüler anprangern, die sich nicht ihren Wünschen entsprechend verhalten. Der Missbrauch von Macht kann auf einem Größenwahn des Lehrers beruhen; es können ganze Hierarchien entstehen, in denen bestimmte Schüler in der Gunst stehen oder andere in Ungnade fallen, in denen es solche gibt, die "gerettet" sind, und andere, die dieses Glück nicht haben; es gibt geheime Cliquenbildung, Bedrohung, Angst, Abhängigkeit und spirituelle Diktatur.

Wenn Sektierertum mit Missbrauch von Macht verbunden ist, können sich falscher Stolz, Kult-Mentalität und Paranoia zu einer Haltung von "wir gegen die anderen" entwickeln. Im schlimmsten Fall endet dies mit dem Einsatz von Waffen, Spionen und Überlebens-Szenarien. Vor vielen Jahren besuchte ich einmal Freunde in einer Gemeinschaft, in der sich solch ein Machtwahn entwickelt hatte. Der Lehrer, ein Mann mittleren Alters, war berühmt für seine spirituellen Kräfte, und Tausende von Schülern bewunderten und liebten ihn und lagen ihm ehrfürchtig zu Füßen. Als zölibatärer Yogi hatte er ein langes Leben der Entsagung geführt, und seine Tugend stand außer Frage, ebenso seine Autorität. Um ihn herum entstanden mehrere große Ashrams und eine fraglos akzeptierte Hierarchie. Im nächsten Umfeld des Lehrers gab es die Insider, viel Geld und spirituellen Glamour. Nach ein paar Jahren begannen Geschichten über junge Mädchen zu kursieren, die dem Lehrer und ausgewählten Mitgliedern seines Hofes zugeführt wurden, und es kursierten Gerüchte über geheime Bankkonten, Drogen und Schusswaffen. Meine Freunde waren, wie die meisten Schüler, hingebungsvolle Gläubig, die diese Geschichten nachdrücklich zurückwiesen. Bei einem Lehrer wie dem ihren konnten sie einfach nicht wahr sein. Erst später, als ihre heranwachsende Tochter Berichte aus erster Hand lieferte, die viele der Gerüchte bestätigten, wurde ihnen klar, wie sehr sie sich hatten verführen lassen. Auf der Stelle verließen sie die Kommune. Und doch blieben viele Schüler trotz aller Veröffentlichungen über die unheilvollen Zustände bei diesem Lehrer. Sie tun noch heute so, als sei nichts geschehen und rühren niemals an diese heiklen Themen. In diesem Beispiel kommen viele Aspekte des Missbrauchs zusammen, doch der zentrale Punkt bleibt der Missbrauch von Macht.

Das zweite Problem ist Geld. Die Begegnung mit spirituellen Lehren kann einen so starken Einfluss auf das Leben mancher Menschen ausüben, dass ihre Großzügigkeit sehr plötzlich und heftig geweckt wird. Auf diese Weise fließt eine Menge Geld in spirituelle Gemeinschaften. Wenn die Lehrer zuvor ein sehr einfaches Leben geführt haben und Überfluss nicht gewöhnt sind, kann das zu naivem oder auch bewusstem Missbrauch von Geldmitteln führen. Ich kenne asiatische Lehrer, die vom Reichtum westlicher Industrieländer überwältigt wurden und eine Leidenschaft für Geld entwickelten; sie erwarten nur noch das Beste vom Besten - die teuersten Autos, die luxuriösesten Hotels. Manche Lehrer östlicher spiritueller Gemeinschaften in Amerika trieben munteren Missbrauch mit Spendengeldern und dem Vertrauen ihrer Anhänger, wenn auch kaum je in dem gewaltigen Ausmaß wie beispielsweise gewisse amerikanische Fernseh-Geistliche. In extremen Fällen wurden östliche wie westliche religiöse Lehren dazu benützt, riesigen Profit zu machen. Es ergibt sich manchmal folgende Dynamik: Je mehr ein Mönch seine Gleichgültigkeit gegenüber weltlichen Annehmlichkeiten beweist, desto mehr beeindruckt er die Laienanhänger und wird ihrer materiellen Hilfe für Wert befunden. Gleichgültigkeit gegenüber Annehmlichkeiten führt also dazu, dass sie bereitgestellt werden. Das bietet Heuchlern großartige Möglichkeiten.

Ein drittes schwerwiegendes Problem bedeutet Fehlverhalten im Bereich der Sexualität. Sexueller Missbrauch ist in unserer Kultur verbreitet, und spirituelle Gemeinschaften sind dabei keine Ausnahme. Die Lehrerrolle kann zu heuchlerisch verbrämtem oder geheim gehaltenem Sex missbraucht werden, der den Gelübden oder den Regeln der Lehre widerspricht - in Form von Ausbeutung, Ehebruch, Verführung oder sonstigen Verhaltensweisen, die das physische und emotionale Wohlergehen der Schüler schädigt. Manchmal geschieht es im Namen von "Tantra" oder anderen speziellen Lehren. In den schlimmsten Fällen waren minderjährige Jungen und Mädchen beteiligt, oder Schüler wurden mit AIDS angesteckt. Allzu leicht kann sich eine nicht bewusst bearbeitete Sexualität mit spirituellen Lehren vermischen.

Ein viertes Problem, in das sich Lehrer und Gemeinschaften verstricken können, ist der Missbrauch von Alkohol und Drogen. Manchmal geschieht es im geheimen, in anderen Fällen öffentlich (die Zen-Tradition kann mit berühmten Trinkern unter ihren Dichtern und Meistern aufwarten.) Die öffentliche Aufforderung zum Trinken in einigen Gemeinschaften, die von einem Alkoholiker geleitet wurden, hat viele Schüler dazu verführt, dem Beispiel ihres Lehrers zu folgen, manche Gemeinschaften in Amerika mussten Selbsthilfegruppen einrichten, um mit ihren internen Suchtproblemen fertig zu werden.

In den schlimmsten Fällen wird geheime Drogen- und Alkoholsucht mit dem Missbrauch von Sexualität und Macht kombiniert.

Wer sich einer spirituellen Gemeinschaft anschließt, kann sich so etwas im allgemeinen nicht vorstellen. Anfänger voller Idealismus und gloriosen Fantasien und Hoffnungen pflegen solche Schattenbereiche nicht als Teil der spirituellen Arbeit zu betrachten. Veröffentlichungen in den Medien haben jedoch dazu beigetragen, dass Praktizierende heute wacher für diese Problematik sind und anfangen, sie zu erkennen und anzusprechen. Macht, Geld, Sex, Alkohol und Ego-Aufblähung sind Schwierigkeiten, von der die Menschheit ganz allgemein betroffen ist. Warum sollte dies nicht auch auf spirituelle Lehrer zutreffen?

Aufrichtiges Hinterfragen

Sowohl Lehrer als auch Gemeinschaften haben ihren Anteil am Fehlverhalten und beide Seiten müssen auf eine Lösung hinarbeiten. Der Schlüssel zum Verständnis dieser Schwierigkeiten ist ein aufmerksames Gewahrsein. Hier seien einige Fragen aufgelistet, mit denen Sie spirituellen Romantizismus und Größenwahn aufdecken können.

Fühlen Sie sich in Ihrer spirituellen Gemeinschaft dazu gedrängt, Ihr eigenes Gefühl von ethischem Verhalten oder Integrität zu verletzen? Gelten unterschiedliche Verhaltensregeln für den Guru gegenüber für die Gemeinschaft einerseits und für den engen Kreis um ihn andererseits? Gibt es Geheimnisse, Gerüchte oder Probleme? Betreiben die Oberen in der Hierarchie der Gemeinschaft Missbrauch mit Sexualität, Geld oder Macht? Sind Sie hinter Ihrem Geld her? Machen sie sich auf körperlicher Ebene an Sie heran? Ist Ihnen nicht erlaubt, sich mit Ihren alten Freunden zu treffen? Fühlen Sie sich abhängig? Vermissen Sie in der Gemeinschaft und in der Beziehung zur Praxis den Humor? Besteht in der Gemeinschaft eine Atmosphäre der Schwere und der Lebensfeindlichkeit? Fordert man von Ihnen, dass Sie blind glauben und darauf verzichten, Ihren eigenen Verstand zu gebrauchen? Besteht eine Haltung der Intoleranz?

Schauen Sie genau hin, ob die Gemeinschaft auf Sektierertum oder Abgrenzung basiert oder eine fundamentalistische Orientierung hat. Das zu sehen, kann recht schwierig sein, wenn wir uns in eine Gemeinschaft oder in einen Lehrer verliebt haben. Wir sind vielleicht berauscht von dem Gefühl, zu den Erwählten zu gehören, zu denjenigen, die mehr sehen als der Rest der Welt. Doch dieser Glaube führt unweigerlich zu Isolation, Sucht und dem Verlust echter Weisheit und wahren Mitgefühls.

Die Vehemenz, mit der manche Schüler ihren "einzig wahren Weg" anpreisen, ist üblicherweise ein Zeichen für nicht erkannte Unsicherheit; dahinter stehen oft eine große unbewusste Angst oder versteckte Zweifel. Die Behauptung, dass nur ein kleiner Teil der Menschheit auserwählt sei, zu erwachen oder befreit zu werden, ist absurd. Das Erwachen ist das Geburtsrecht eines jeden menschlichen Wesens, jeder Kreatur. Es kann keinesfalls nur einen einzigen richtigen Weg geben.

Jeder von uns muss lernen, die Autorität in sich selbst zu finden. Nur das kann uns befreien. Erinnern wir uns an den Rat, den der Buddha den verwirrten Kalamas gab. Wir müssen selbst unser eigenes Leben erkennen, ungeachtet der Vorstellungen anderer, und wir sollten einem Praxisweg nur dann folgen, wenn er eindeutig gut für uns ist.

Und dazu ein Zitat aus dem Sutta-Nipata (I. Buch der Schlange, 3. Das Nashorn 45-47):

Wenn einen weisen Freund man findet,

Als Weg-Gefährten, edel lebend, kraftvoll,

Gleich einem König, der besiegtes Land verlässt,

Mag wandern man mit ihm, beglückt und achtsam.

Wenn keinen weisen Freund man findet,

Als Weg-Gefährten, edel lebend, kraftvoll,

Gleich einem König, der besiegtes Land verlässt,

Allein mag wandern man, dem Nashorn gleich.

Ja wahrlich, preisen wollen wir das Glück der Freundschaft!

Die besser oder gleich, solch Freunde soll man wählen.

Kann solche man nicht finden, tadelfrei dann lebend,

Allein mag wanden man, dem Nashorn gleich.