Der Erwachte nennt nicht nur die Meditation über die Herzenstrübungen in neutralen Zeiten, um vom Grunde her den Triebehaushalt des Menschen zu verbessern, sondern er gibt auch Hilfen, wie man außerhalb der neutralen Zeiten akute üble Anwandlungen unmittelbar wirksam bekämpfen kann.

Davon handelt die 20. Lehrrede der "Mittleren Sammlung". Sie ist an Mönche gerichtet, die viel weniger Erregendes und Ablenkendes erfahren als der im Hause Lebende. In ihrem Tagesablauf spielt das Denken eine unvergleichlich größere Rolle als das Reden und Handeln. Darum ist für die Mönche die Befolgung dieser Anleitungen so wirksam, wie der Erwachte es dort berichtet.

Aber auch für uns sind diese Ratschläge sehr wichtig. Kein Mensch kann aus Dunkelheiten und Leiden herauskommen, wenn er nicht von üblen Vorstellungen und Gedanken abkommt. Aber wir Heutigen sind durch Familienleben, Beruf, durch Aufgaben und Pflichten in den täglichen Begegnungen weit weniger unseren Gedanken ausgeliefert als der in der Einsamkeit Lebende. Bei uns stehen ungute Worte und Taten viel mehr im Vordergrund als ungute Gedanken. Zwar gehen allen Worten und Taten immer entsprechende Gedanken voraus, aber diese sind bei uns kaum bewusst, sind kurz und schnell, und sogleich folgen Worte und Taten. Diese bleiben uns meistens viel mehr bewusst als die Gedanken. Darum rät der Erwachte den Hausleuten, vor allem auf ihre Worte und Taten zu achten und diese im Sinne der Tugendübungen zu läutern.

Der Erwachte sagt: "Wer nach höchster Ausbildung des Herzens strebt, soll zur rechten Zeit - nämlich in Zeiten der Angehung, wo es erforderlich ist - fünf Vorstellungen in die Aufmerksamkeit nehmen." Welche fünf?

Wenn da, ihr Mönche, der Mönch irgendeine Vorstellung im Geiste hegt und ihm dabei üble, unheilsame Gedanken aufsteigen, solche, die mit Gier oder Hass oder Blendung verbunden sind, dann soll der Mönche seine Aufmerksamkeit von dieser Vorstellung weg auf eine andere Vorstellung, eine heilsame, bessere richten. Dann schwinden die üblen, unheilsamen Gedanken, die mit Gier, oder Hass oder Blendung verbunden sind, dahin, lösen sich auf. Dadurch wird das Herz still und befriedet, wird einig und gesammelt.

Es ist, ihr Mönche, wie wenn ein geschickter Maurer oder Maurergeselle mit einem feinen Keil einen groben losschlagen und dann ihn herausnehmen, wegtun kann, ebenso, ihr Mönche, soll ein Mönch, der irgendeine Vorstellung im Geiste hegt, wenn ihm dabei üble Gedanken aufsteigen, solche, die mit Gier oder Hass oder Blendung verbunden sind, seine Aufmerksamkeit von dieser Vorstellung weg auf eine andere Vorstellung, eine heilsame, bessere richten. Dann schwinden die üblen, unheilsamen Gedanken, lösen sich auf. Dadurch wird das Herz still und befriedet, wird einig und gesammelt.

Oft werde ich von irgendwelchen Erlebnissen gereizt. Ich sehe, höre, rieche, schmecke, taste oder denke etwas, es erregt meine Aufmerksamkeit. Ich bin zu diesem hingezogen, von jenem abgestoßen, und schon merke ich, wie ich damit bereits gefesselt bin an die Dinge, die mir Wohl versprechen, oder an die Dinge, die mir widerwärtig sind. Da ich ständig gerissen bin von wechselnden Wohl- und Wehgefühlen, kann ich die Dinge nicht unverblendet sehen, kann nicht erkennen, dass nicht die Dinge an sich Wohl oder Wehe sind, sondern nur mein Bezug zu ihnen dies vortäuscht.

1. Da empfiehlt nun der Erwachte als erste Übung, die Aufmerksamkeit auf eine bessere Wahrnehmung zu richten, auf eine Vorstellung, die heilsam ist und die mich mit einer Kraft packt, welche die üblen Wahrnehmungen hinaustreibt. Es muss also eine Vorstellung sein, die mich schon öfter zum Höheren begeistert und ermutigt hat.

Wenn meine Absichten durchkreuzt werden und ich zornig auf den Verhinderer meiner Wünsche bin, wenn ich in mir gegenüber anderen Menschen Neid oder Starrsinn feststelle, kann ich mich daran erinnern, trotzdem in wohlwollender Weise mit den Menschen, mit denen ich zu tun habe, umzugehen. Und dass das schon unmittelbar erhellend und erhebend ist und im Laufe der Zeit zu einem ganz anderen Lebensklima führt. Oder ich denke daran, wie mir manchmal schon bei der Meditatation ganz hell und warm wurde und ich mich weit und frei und fast unsterblich, unabhängig fühlte. Indem ich an solches edlere Wohl, das ich erfahren habe oder mir vorstellen kann, intensiv denke, kann ich das primitivere Gefühl damit abstoßen. Daher wählt der Erwachte hier das Gleichnis, dass man mit einem kleinen Keil einen großen Keil heraustreiben kann.

Man könnte noch eine Reihe anderer guter und kraftvoller Vorstellungen aufzeigen, die fähig sind, die üblen Vorstellungen zu vertreiben. Aber jeder Übende muss sich im Laufe der Zeit selbst gute Vorstellungen erarbeiten, die ihm helfen, die ihn begeistern und höherziehen, wodurch er vom Üblen abkommt.

Die üblen Gedanken kommen ja auf, weil mein Herz noch Herzenstrübungen hat, sei es Eifersucht, Zorn oder Überheblichkeit usw. Wo diese Trübungen sind, da entstehen solche Vorstellungen und Gedanken und bewirken bei dem normalen Menschen eine gewisse Lust und Befriedigung. Wenn ich aber durch die Lehre den großen Schaden begriffen habe, den solche Triebe, Gedanken, Vorstellungen mir selbst schaffen, solange sie da sind, dann verzichte ich auf die Befriedigung, die solche Gedanken bewirken. Diesen Verzicht auf die Befriedigung und diese Überwindung unter Heranziehung der Weisheit muss ich zunächst aufbringen, wenn ich von den üblen Eigenschaften abkommen will.

Wenn durch die bessere Vorstellung das Üble vertrieben ist, dann zeigt sich das daran, dass das Herz bei der besseren Vorstellung gern verweilt, entspannt und heiter wird. Zu einer solchen Zeit brauche ich das Herz nicht mehr mit Anstrengung bei diesen Vorstellungen festzuhalten.

2. Das Elend der üblen Gedanken betrachten.

Wenn diesem Mönch bei seinem Bemühen, die Aufmerksamkeit von der einen Vorstellung weg einer anderen heilsam zuzusenden, dennoch unheilsame Gedanken aufsteigen, dann soll er, ihr Mönche, das Elend derartiger Gedanken gründlich rundum betrachten...

Es ist, ihr Mönche, wie wenn einer Frau oder einem Mann, jung, frisch, gefallsam, ein Schlangenaas oder ein Hundeaas oder eine Menschenleiche um den Hals gehängt würde: Da wären sie voll Abscheu und Grauen und würden sich ekeln. Ebenso, ihr Mönche...

Sollte also die Vorstellung des größeren, edleren Wohls nicht geholfen haben, dann soll der Mönch sich mit dieser Übung all das Elend vor Augen führen, das mit der gegenwärtigen primitiven Wohlsuche zusammenhängt.

Eigenen Schaden und die Schädigung anderer bringen die Gedanken von Gier, Hass oder Blendung, darum sind sie unheilsam. Das Paliwort für unheilsam, heillos bedeutet wörtlich "untauglich". Diese Gedanken taugen nicht zu dem, was man will: Nicht zum eigenen Besten und nicht zum Besten der Mitwesen, darum sind sie gefährlich.

Als Folgen der üblen Gedanken in diesem Leben kann ich mir vor Augen führen: "Die anderen werden traurig oder gar zornig sein und zu meinen Feinden werden. Meine Freunde werden mich nicht mehr mögen, mich allein lassen. Statt Harmonie, Vertrauen, Wohlwollen säe ich Zwietracht, Disharmonie." Und in bezug auf das nächste Leben kann ich mir vor Augen führen: "Durch diese üblen Gedanken der Gier und des Hasses bin ich wie ein Tier, befangen in vordergründiger verblendeter Wohlsuche, wie ein Gespenst, wie ein höllisches Wesen. Pflege ich diese Gedanken weiter, werden sie mir zur Gewohnheit, werde ich nach dem Tode zu solchen Wesen hingezogen."

Wenn nun die erste Übung - sich etwas Besseres vorzustellen - und auch die zweite Übung - sich das Elend und die furchtbaren Folgen der üblen Gedanken vor Augen zu führen - nicht geholfen hat, dann empfiehlt der Erwache eine dritte Übung:

3. Ablenkung von üblen Gedanken.

Wenn einem Mönch bei seiner gründlichen Betrachtung des Elends jener Gedanken dennoch üble, unheilsame Gedanken aufsteigen, so soll er, ihr Mönche, jenen Gedanken keine Beachtung schenken, sich im Geist nicht damit beschäftigen...

Es ist, ihr Mönche, wie bei einem scharfsehenden Mann: Wenn der in seinem Gesichtskreis getretene Erscheinungen nicht sehen will, kann er die Augen schließen oder wegblicken. Ebenso, ihr Mönche...

Diese Übung hat zum Inhalt, das Denken durch Ablenkung von den üblen Gedanken abzuziehen. So wie nach dem Gleichnis ein Mensch dann die Augen schließt oder wegschaut, so soll man dann sich ablenken, indem man sich etwa der unterbrochenen Arbeit wieder zuwendet, oder wenn das nicht hilft und man die Möglichkeit hat, dann z.B. ein gutes und fesselndes Buch lesen, einen Freund besuchen oder anrufen, irgendeine Aufgabe oder Pflicht erfüllen, eine körperliche Arbeit tun etc. Damit ist man abgezogen von dem für einen selbst schädlichen, das Leiden vermehrenden Gedanken.

Die vom Erwachten zuerst genannten beiden Übungen haben, wenn sie gelingen, emporziehende und entlarvende Kraft. Deshalb sind sie wirksamer als die dritte Übung.

Wie hilfreich die Übung der Ablenkung aber ist, wenn sie erst an dritter Stelle geschieht, wird deutlich, wenn ich bedenke, dass ja die erste und zweite Übung immer öfter gelingen wird, so dass ich nach einiger Zeit, wenn ich zur dritten Übung übergehe, einer bin, der durch die immer wiederholte erste und zweite Übung schon mehr oder weniger gewandelt ist und durch die dritte Übung sozusagen zu meinen besseren Eigenschaften zurückfindet.

4. Beruhigung durch Analyse der Gedanken.

Wenn einem Mönch, ihr Mönche, obwohl er jenen Gedanken keine Beachtung schenkt, dennoch üble unheilsame Gedanken aufsteigen, so soll er, ihr Mönche, seine Aufmerksamkeit darauf richten, wie die Bewegtheit dieser Gedanken zusammensetzt und sie so zur Ruhe bringen...

Es ist, ihr Mönche, wie wenn ein Mann schnell ginge. Da käme ihm der Gedanke: Was gehe ich denn so schnell; ich kann doch langsamer gehen, und er ginge langsamer. Da fiele ihm ein: Wozu gehe ich überhaupt? Ich kann doch stehenbleiben, und er bliebe stehen. Da käme ihm der Gedanke: Warum stehe ich denn? Ich kann mich doch setzen, und er setzte sich hin. Da sagte er sich: Was sitze ich denn? Ich kann mich doch hinlegen, und er legte sich hin. Ebenso, ihr Mönche...

Indem ich meine Aufmerksamkeit auf die Zusammensetzung der störenden Gedanken richte, auf die einzelnen Faktoren, die sie verursacht haben, da wird ein Faktor nach dem anderen entschärft, denn die Wirkung eines üblen Gedankens, einer üblen Vorstellung beruht auf der Zusammensetzung, der Komposition des Gedankenkomplexes.

Wir lernen beim Erwachten immer wieder die Analyse der Komposition - der Komposition "Mensch", der Komposition "Sinneseindruck", der Komposition "Gedanken".

Durch die Zerlegung des üblen Gedankens in seine einzelnen Faktoren wird das Bewegte, das Erregende und Erregte, das durch das Zusammenwirken, durch die Komposition der fünf Zusammenhäufungen (siehe das Kapitel: 5 Aneigungen) bedingt ist, aufgehoben. Wenn ich die Gedanken analysiere, ihre Herkunft untersuche und zerlege, dann habe ich bei jeden Teil dieser Komposition gesehen: Es ist nichts, es ist leer. So ist dem Gefühl die Grundlage entzogen, und dadurch tritt erlösende Ruhe ein. So führt diese vierte Übung zur Beruhigung, die in dem Gleichnis veranschaulicht wird.

5. Mit körperlicher Anspannung üble Gedanken hinauswerfen.

Wenn einem solchen Mönch, ihr Mönche, während er seine Aufmerksamkeit darauf richtet, wie die Bewegtheit dieser Gedanken sich zusammensetzt, dennoch unheilsame Gedanken aufkommen, so soll er, ihr Mönche, mit zusammengebissenen Zähnen und an den Gaumen gehefteter Zunge mit dem besseren Willen die Herzensanwandlungen niederzwingen, niederringen, niederquälen...

Es ist, ihr Mönche, wie wenn ein starker Mann einen schwächeren beim Kopf oder bei der Schulter packt und ihn niederzwingt, niederringt, niederquält. Ebenso, ihr Mönche...

Es geht ja bei allen fünf Übungen darum, dass der Mönch von irgendwelchen Gedanken und Vorstellungen, die er als unheilsam und schädlich erkennt, abkommen will. Wenn ihm dies mit den vielerlei Überlegungen der ersten vier Übungen doch nicht gelingt, dann soll er ohne weiter Wenn und Aber diese üblen Gedanken unter Zuhilfenahme körperlicher Anspannung geradezu "hinauswerfen". Hier geht es darum, alle Energie aufzumachen und eisern ohne viel Argumente die üblen Gedanken unter Einsatz aller Willenskraft für den Augenblick hinauszudrängen, denn im Innersten weiß man ja, dass sie übel sind, so dass die Summe dieser gesamten Einsichten zu einem starken "Nein" führt.

Natürlich hat diese fünfte Übung nichts zu tun mit der falschen Auffassung, man könne mit einem "starken Willensentschluss" unabhängig vom Triebehaushalt zu allen Zielen kommen. Das ist unmöglich. Wer das nicht weiß, sieht sich immer wieder versagen und resigniert allmählich.

Der Erwachte zeigt realistisch die Einsatzmöglichkeiten des Willens. Er sagt: Wenn ein Hausvater mit geeigneten Voraussetzungen die Lehre hört, dann wird bei ihm der Wille zum heilsamen Wandel geboren. Das ist noch ein mehr oder weniger schwacher Wille, den stärkt der Hausvater nun allmählich dadurch, dass er sich immer wieder die richtigen Einsichten vor Augen führt; dadurch werden die dem besseren Willen entgegenstehenden Triebe allmählich gemindert. Dann erlangt der heilsame Wille das Übergewicht, und die Waage schlägt um. Zu dieser echten Reinigung des Triebehaushalts helfen nur die ersten vier Übungen - das muss uns klar sein - aber als "letztes Mittel" hilft in dringenden Fällen für den Augenblick auch die Gewalt gegen das innere Üble. Bis dahin braucht es für den verständigen Praktiker aber nur selten zu kommen. Vor allem für uns Hausleute, die wir mancherlei Arbeiten und Aufgaben haben, gibt es soviel Möglichkeiten einer anderweitigen Beschäftigung, dass wir diese fünfte Übung, die für den allein im Wald lebenden Mönch die letzte Möglichkeit bietet, kaum zu machen brauchen.

Wer diese Übungen durchführt, der beherrscht allmählich seine Gedanken immer besser. Er ist nicht mehr Sklave der Einflüsse, sondern lenkt sich bewusst zu immer höheren Zielen.

Quelle: Meditation nach dem Buddha, von Paul Debes.