Vertrauen ist der erste Schritt zur Aufnahme der rechten Anschauung.

Wenn man "vertrauend herankommt", die "Stimme" des Buddha aufnimmt und danach eigene, auf die Grundlagen, die Zusammenhänge gerichtete aufmerksame Betrachtungen anstellt, hat man den ersten Schritt getan, um die Lehre des Buddha in die Praxis umzusetzen.

 

Der Erwachte bezeichnet das Vertrauen (saddha) zwar als die allererste und ganz unerlässliche Bedingung, um den Weg der inneren Läuterung, der zum Heilsstand führt, überhaupt anzutreten, sagt aber zugleich, dass man mit der gleichen Eigenschaft Vertrauen auch an falsche Lehren kommen und damit das Ziel verfehlen könne. Das bedeutet also, dass Vertrauen ebenso unerlässlich wie auch gefährlich ist. Unerlässlich ist es, weil man ohne Vertrauen mit keiner religiösen Lehre Verbindung gewinnen kann, und gefährlich ist es, weil es an falsche Lehren und auf geistige Abwege führen kann. Es bedarf also der Ergänzung.

Zuerst vernimmt man durch Lesen oder Hören und anerkennt in seinem Geist, dass es diesen oder jenen höheren inneren oder äußeren Zustand des Menschen gibt, der ihm erheblich mehr Wohl einbrächte. Für die Heilsentwicklung geht es dabei um verschiedene Grade rechter Anschauung. Deshalb folgt hier zunächst eine Meditation über die Bildung von rechter Anschauung.

Es gibt in der Welt viele Anschauungen und Definitionen, was genau Anschauung sei, und es gibt ein Meer von Anschauungen, Meinungen, Betrachtungsweisen. Der Erwachte befasst sich nicht damit, sondern lenkt die Aufmerksamkeit der leidenden Menschen allein auf die Anschauung darüber, wie man aus dem Leiden aller Grade herauskommt. Denn Anschauungen liefern die Leitidee des Menschen für all sein Tun, Anstreben und Unterlassen im einzelnen und im ganzen.

Auf zwei verschiedenen Wegen kommen die Menschen zu richtigen oder falschen Anschauungen.

Über den einen sagt der Erwachte: "Je nach der Grundart ist die Wahrnehmung. Je nach der Wahrnehmung ist die Anschauung."

"Grundarten" sind die Triebe des Herzens (der Psyche) und die triebbedingen Gegebenheiten, wie sie als Ernte aus früherem Wirken herantreten. Die Triebe sind durch äußere oder innere Erlebnisse (Ernte früheren Wirkens) berührt worden. Die Berührung löst angenehmes oder unangenehmes Gefühl aus, und dadurch nehmen wir die betreffende Sache als anziehend oder abstoßend wahr. Die Wahrnehmungen werden in den Geist eingetragen, und dieser deutet die Wahrnehmungen dann so, dass diese Sache schön oder hässlich sei, angenehm oder unangenehm, obwohl ja erst das triebbedingte Gefühl sie so erscheinen lässt. Diese auf Fehldeutung beruhende Meinung ist eine "Anschauung", und zwar eine falsche.

Begegnet zum Beispiel ein Mensch von geiziger und kaltherziger Grundart einem Notleidenden, dann hat er gar nicht die Wahrnehmung "notleidender Mensch", denn er ist nur mit seinen Interessen beschäftigt. Wenn er um eine Gabe gebeten wird, denkt er nur, dass dadurch sein Besitz gemindert würde und weicht aus oder lehnt ab.

Bei einem Menschen von entgegengesetzter Grundart, mit einem wohlwollenden, brüderlichen Herzen aber entsteht auf dem gleichen Wege wie bei einem Geizigen eine entgegengesetzte Wahrnehmung: Weil seine Neigung zum Mitempfinden (Grundart) berührt wurde, nimmt er die Notlage des Mitmenschen wahr und hat sofort die Anschauung: "Diesem armen Menschen muss man helfen." Der gleiche äußere Anblick führt ihn nicht zur Flucht oder Ablehnung, sondern zum Hinblicken, Hingehen und Helfen. Er denkt weit weniger an die Minderung seines Besitzes als an die Befreiung des anderen aus seiner Not.

Hier zeigt sich, dass je nach der Grundart, also je nach dem Herzen des Menschen wahrgenommen wird und danach die Anschauung entsteht: die subjektive, gefühlsbedingte Anschauung, die durch die Grundart bedingt ist und die der Erwachte darum als Blendung bezeichnet.

Der zweite Weg zur Bildung der Anschauung ist ganz anders: Hier lässt sich der Mensch von seiner Grundart möglichst nicht beeinflussen, sondern er befragt in stillen Stunden, zu Zeiten, in denen seine Triebe fast schweigen (neutrale Zeiten), die Weisen, wie es sich mit diesem oder jenem Lebenszusammenhang in Wirklichkeit verhält. Wenn er die Auskünfte der Weisen aufmerksam aufnimmt, im Bedenken mit seiner Lebenserfahrung verbindet und einsieht, dann wird das allmählich seine Anschauung.

Nehmen wir an, der von Natur kaltherzige und geizige Mensch, der einen Notleidenden gar nicht erst sieht, würde durch die Lehre eines Religionsstifters erklärt bekommen, welche guten, befreienden und beglückenden Folgen aus wohlwollendem Mitgefühl und dem freudigen Spenden hervorgeht. In solchem Fall ist seine geistige Aufmerksamkeit nur auf die gelesene oder gehörte Mitteilung der guten Folgen gerichtet. Er wird zu der Zeit nicht mit einer Notlage konfrontiert, die seinen Besitz gefährden könnte, weshalb sein Herz - das von Natur kaltherzige und geizige - nicht zur Sprache kommt, sondern lediglich im Geist nimmt er die geschilderten Folgen auf, sieht sie ein und sagt sich dann: "Da gibt es für mich nichts Besseres, als anderen zu helfen, und möglichst nicht geizig, knapp zu helfen, sondern freigebig zu helfen." Er kann es in dieser neutralen Zeit einsehen, weil seine Besitzgier nicht berührt worden ist.

Aber damit ist die rechte Anschauung lediglich in den Geist hineingegeben und steht nun neben seiner bisherigen falschen Anschauung aus seiner geizigen Grundart, die ihm im Moment nicht bewusst ist. Wenn er bald hernach einer Notsituation begegnet, dann kommt es darauf an, ob jetzt die alte Anschauung aus seinem (geizigen) Herzen wach wird oder die neue Anschauung der ihm übermittelten Vernunft und Weisheit, die ja noch sehr dünn ist. Oft melden sich beide Anschauungen gleichzeitig, und wir wissen aus Erfahrung, dass sich dann durchaus nicht immer die rechte Anschauung durchsetzt.

An dem Pauluswort: "Das Gute, das ich tun will, tue ich nicht; aber das Böse, das ich nicht tun will, das tue ich" zeigen sich die zwei Anschauungen. Paulus, ein Mensch wie jeder andere mit Sympathien und Antipathien, hatte bisher die Christen verfolgt. Da hatte er plötzlich eine tief bewegende Begegnung: Jesus erschien ihm und fragte ihn: "Was verfolgst du mich?" Nun war er überzeugt, Jesus, der Gottessohn, sei ihm aus dem Jenseits begegnet und alles, was Jesus ihm gesagt hatte, sei Wahrheit; also sei er mit seinem Christenhass und seiner leidenschaftlichen Natur auf dem falschem Wege. Durch diese neue Anschauung wurde er, wie man sagt, "bekehrt", d.h. er hatte jetzt im Geist eine Lebens-Richtschnur bekommen, die seinen bisherigen Gewohnheiten und Trieben entgegengesetzt war. Es ging ja nicht nur darum, die Christenverfolgung einzustellen, was ihm durch die Begegnung mit Jesus ab sofort leicht fiel, sondern nun ging es darum, die vielen Gebote Jesu einzuhalten. Da merkte Paulus den starken Zwiespalt zwischen der leidenschaftlichen Grundart seines Herzens und seiner neuen Anschauung über die Gebote Jesu, vor allem seiner Weisung, alle zu lieben. Und da er sich sowohl mit seinem Geist, in den die Lehre Jesu hineingegeben war, wie mit seinen Trieben, Leidenschaften und Neigungen - seiner Grundart - identifizierte, so fühlte er den Widerspruch.

Wegen dieses häufigen Widerstreits zwischen neuer Anschauung des Geistes und alter Grundart des Herzens mahnen alle Heilslehrer immer wieder, die guten Einsichten durch Wiederholung zu befestigen und sich immer wieder die Nachteile der alten, falschen Anschauung bewusst zu machen. Dann werden die falschen triebgelenkten Anschauungen auf die Dauer immer blasser, und die guten werden deutlicher, bleiben immer stärker gegenwärtig und werden damit für sein Tun und Lassen bestimmend.

In den Lehrreden wird geschildert, wie der Erwachte, der von allen Trieben des Herzens völlig frei war und darum vollkommen rechte Anschauung besaß, diese dem Hörer unmittelbar in den Geist eingab und erläuterte: Er erhob, erheiterte und befriedete durch seine Darlegung das Herz des Hörers, d.h. weckte die besten Eigenschaften, wodurch alle dunklen und wilden Triebe beruhigt wurden, so dass der Hörer die Wahrheit begreifen konnte. Dieser Hörer hat die einmal gefasste Wahrheit auch später nur dann im Geist zur Verfügung, wenn die Triebe des Herzens schweigen. Manchmal verdrängt das aufgenommene Wissen die Triebe des Herzens und die rechte Anschauung herrscht vor, oder die Triebe des Herzens verdrängen die richtigere Anschauung im Geist, und die triebbedingte Blendung, also die falsche Anschauung, herrscht vor.

Jeder Nachfolger hat es schon erlebt, dass er manchmal beim Lesen der Lehrreden, die die rechte Anschauung enthalten, begeistert und erfreut ist, manchmal dagegen ihm dieselben Lehrreden fast nichts sagen und er wie gelähmt ist und keine Lust hat. Das deutet dann darauf hin, dass die Triebe zu der Zeit nicht latent, sondern wirksam sind und das Denken stören. Wir sehen also: Der zweite Weg, der zur Bildung der rechten Anschauung führt, besteht gerade in der Nichtanwesenheit der Triebe, daber in der Anwesenheit zweier Voraussetzungen:

1. der Stimme des anderen (heute sind es meistens Schriften),

2. eigenem stillen Nachdenken, auf die Grundlagen gerichteter Aufmerksamkeit zu einer Zeit, in der das Herz mit seinen Neigungen nicht mitspricht, sondern man nur seiner klaren Einsicht folgt und bedenkt (meditiert), was man gehört oder gelesen hat.

Wir nennen diesen Zustand die neutrale Zeit, weil man dann die wirklichen Zusammenhänge weit besser sehen, erkennen und anerkennen kann als zu einer Zeit, wo man durch seine Neigungen beeinflußt, also geblendet und herumgerissen wird.

Man sollte daher zum Meditieren möglichst solche Orte aufsuchen, die frei von Störungen sind, wo man nicht damit rechnen muss, angesprochen zu werden; am besten Wald, ruhige Landschaft, ruhiges Zimmer, ruhige Ecke. Andererseits achte man darauf, dass man von den äußeren Umständen nicht so sehr abhängig wird. Notfalls kann man sich die Ohren verstopfen.

Die Körperhaltung in der Meditation: Gehen oder Sitzen. Körper nicht verkrampfen, da sonst Schmerzen eintreten und ablenken; darum eventuell bei längerer Meditation vom Sitzen zum Gehen, hernach wieder zum Sitzen übergehen. Bei körperlicher Unruhe, die besonders bei jungen Menschen häufiger ist, im Gehen meditieren und erst nach Beruhigung sich hinsetzen.

Ebenso besteht hier im Westen das Missverständnis, in der Meditation, die den Asiaten meist von Kind an gewohnte Haltung mit gekreuzten Beinen, den sogenannten Lotussitz, anstreben zu müssen. Durch die Aufmerksamkeit darauf und durch die körperlichen Schmerzen und Spannungen, die vom westlichen Menschen dabei auszuhalten sind, wird der Übende oft von dem eigentlichen Zweck der meditativen Besinnung abgelenkt. Der Buddha empfiehlt diese Haltung nur bei ganz wenigen Übungen des weit fortgeschrittenen Mönches, der zu den weltlosen Entrückungen (Jhana) gelangen kann. In den Entrückungen nämlich ist das Bewusstsein nicht mehr auf den Körper gerichtet, so dass dieser umfallen könnte, wenn er nicht durch die Art des "Lotussitzes" senkrecht gehalten würde. Aber abgesehen davon, dass nur in ganz vereinzelten Fällen ein normaler Mensch bei der Meditation zu dieser Entrückung gelangt, macht auch das Umfallen in den allermeisten Fällen gar nichts aus. Im christlichen Mittelalter zur Zeit der Blüte der Mystik sind viele Mönche und Nonnen und manchmal auch sehr hochherzige und religiöse bürgerliche Menschen bei Besinnungen im Sitzen umgefallen, haben es in ihrer inneren Seligkeit gar nicht gemerkt und sind hernach, als sie wieder zu sich kamen, schadlos aufgestanden.

Nicht zu lange und vergeblich zu meditieren versuchen, wenn man zu abgespannt und müde ist, auch nicht, wenn man innerlich und äußerlich verspannt ist; es sei denn, dass man gerade über dies Anspannung auflösend meditiert.

Jede Meditation, jede aus denkerischem Betrachten gewonnene Einsicht ist ein Kraftimpuls. Jede geistige Bewertung, jede neue Anschauung durchsetzt, durchdringt und beeinflusst mein Gemüt und führt damit zu kleinen und größeren Veränderungen meines Wesens. Alles, was ich bin, ist auf diesen Wegen des geistigen Herannehmens und Abstoßens entstanden. Darum kann aber auch alles, was ich geworden bin, auf diesem Wege wieder aufgehoben werden. Darum kann ich auf diesem Wege alles Schlechte überwinden, alles Gute mir aneignen. Dies ist der Weg der Wandlung,  "der gangbare Weg, der um den ungangbaren herumführt" (Majjhima Nikaya Nr. 8).

Mit jedem Gedanken baue ich an meinem zukünftigen Schicksal, Schaffsal. Ich kann immer Helleres und Lichteres erleben, schaffen bis zum vollkommenen Heil. Ein guter Gedanke nach dem anderen bringt allmählich Tropfen um Tropfen die Veränderung zum Guten mit sich. So kann ich Schritt für Schritt "ohne Hast und ohne Rast" mein Wesen wandeln. Aus diesen Kenntnissen und Erfahrungen erwächst die für die Meditation besonders günstige Gemütsstimmung.

(Quelle: Meditation nach dem Buddha, von Paul Debes)