Durch Wissen (Aufnehmen der Lehre durch Hören und Lesen) und Wandel (Bedenken, Sinnen, also Meditation) praktizieren wir die Lehre des Buddha.

Jeder Gedanke ist ein Geschehnis, ein Ereignis in der geistigen Natur des Menschen und hat dort ganz ebenso seine geistige Wirkung, wie das Manipulieren im sinnlich wahrnehmbaren Bereich auch seine sinnlich wahrnehmbaren Wirkungen hat.

So wie wir mit jedem Schritt, den wir uns von einer Person oder einem Gegenstand entfernen - oder uns ihm nähern - ein anderes räumliches Verhältnis schaffen - ganz ebenso schafft jede von uns mit innerer Überzeugung vollzogene gedankliche positive oder negative Bewertung eines anderen Menschen, einer Sache, einer Eigenschaft, einer Haltung oder Verhaltensweise oder einer Aufgabe auch ganz unmittelbar ein der Bewertung genau entsprechend verändertes seelisches Verhältnis, also einen etwas positiveren oder negativeren seelischen Bezug des Bewertenden zu dem Bewerteten.

So wie nach jedem Schritt eine etwas größere räumliche Nähe oder Ferne besteht als zuvor, so besteht auch nach einem solchen Gedanken eine etwas größere Zuneigung oder Abneigung, Anziehung oder Abstoßung gegenüber dem Bedachten als zuvor.

Und so wie der durch die Schritte neugeschaffene räumliche Abstand ohne weitere Schritte auch dann genauso bestehen bleibt, wenn der Mensch an die unternommenen Schritte nicht mehr denkt - ganz ebenso bleibt der durch den positiven oder negativen Gedanken neugeschaffene seelische Bezug, der jetzige Grad der Anziehung oder Abstoßung, so lange bestehen, als keine weiteren beziehungshaften Gedanken an dasselbe Objekt geschehen, und zwar auch dann, wenn die Gedanken selbst längst vergessen sind. So sind die Triebe, die Neigungen, die Tendenzen (das Herz) durch Gedanken fixierte Bezüge, durch Gedanken festgelegte Anziehungen und Abstoßungen.

Das Gesetz für die Wandlung der Tendenzen heißt also:

Jede positive Bewertung eines Gegenstandes, eines Wunsches, eines Gefühls, eines Gedankens oder einer Tat ist der Impuls zur Bildung oder Verstärkung einer zu dem Anerkannten hinstrebenden Tendenz bzw. zur Abschwächung oder Auflösung einer von dem Anerkannten wegstrebenden Tendenz.

Jede negative Bewertung ist der Impuls zur Bildung oder Verstärkung einer von dem negativ Bewerteten fortstrebenden Tendenz bzw. zur Abschwächung oder Auflösung einer zu dem negativ Bewerteten hinstrebenden Tendenz.

Der Grad der Verstärkung bzw. der Verminderung einer Tendenz ist bedingt durch die Stärke, in der jene Sache positiv bzw. negativ bewertet wird.

Positiv bewertet wird vom Menschen immer dasjenige, das er zu Recht oder irrtümlich für gut oder heilsam oder zweckvoll oder angenehm oder befriedigend, kurzum für irgendwie leidmindernd oder wohlmehrend hält.

Negativ bewertet wird von dem Menschen immer dasjenige, das er zu Recht oder irrtümlich für schlecht, unheilsam, zwecklos, unangenehm, unbefriedigend, kurzum für irgendwie leidbringend oder wohlmindernd hält.

Das ist das Gesetz der Wandlung der Triebe, das der Erwachte formuliert:

"Was der Mensch häufig bedenkt und sinnt,

dahin geneigt wird das Herz."

Vergessen wir nicht, dass der Mensch in fast jedem Augenblick in irgendeiner Besinnung, in irgendeiner Meditation lebt, auch wenn ihm das nicht bewusst ist.

Zu Zeiten, in denen starke Tendenzen erfüllt werden und dadurch ein starkes Wohlgefühl empfunden wird oder starken Tendenzen entgegengesetzte Erlebnisse herankommen und darum starke Wehgefühle empfunden werden, zu solcher Zeit meldet sich der spontane triebhafte Impuls zu genießen oder fortzustoßen - zu einer solchen Zeit fällt deshalb die gründliche Betrachtung der Zusammenhänge schwer.

Darum sind die Zeiten, in denen sich die Tendenzen weniger melden, zur Pflege der aufmerksamen Betrachtung günstiger. In einer stillen Morgen- oder Abendstunde oder auf einem Spaziergang innerhalb der Natur und außerhalb des Getriebes kann man leichter über Zusammenhänge nachdenken als inmitten des wogenden alltäglichen Kampfes.

Aber die Stille allein genügt noch nicht, wie die Erfahrung der Einzelmenschen und die Geschichte der Völker und Kulturen lehrt. Die Stille kann ebenso Anlass zur Lässigkeit, Schläfrigkeit, Träumerei und Degeneration werden, wie sie ein Anlass zur Wachheit, Besinnung und Sammlung tiefer Erkenntnis werden kann. Wo das Anliegen ist, Wahrheit über diese Zusammenhänge zu erfahren, da wird die Stille ausgenutzt, um gründlich zu forschen. Wo aber dieses Anliegen nicht ist, da wird die Stille vergeudet oder geflohen.

Aber auch aufmerksame Betrachtung kann sich bald wieder verflüchtigen, wenn der betreffende Mensch den Eindruck hat, dass er vergeblich suche und prüfe, dass er den Zusammenhang nicht erkennen könne, wenn er also zu ungeduldig ist. So ist Geduld und Beharrlichkeit ein großes Hilfsmittel, aufmerksame Betrachtung zu erhalten. Die Geduld und Beharrlichkeit wiederum werden um so stärker, je mehr ein Mensch sich vor Augen führt, dass er sonst die wichtigste Voraussetzung zur Erkenntnis der Daseinszusammenhänge, denen er ausgeliefert ist, nicht gewinnen kann.

Hinzu kommt noch das Element der Belehrung. Hat man irgendwo eine in dieser Hinsicht hilfreiche Belehrung erfahren, einige Winke über die wahren Zusammenhänge, dann gelingt von da an die aufmerksame Betrachtung dieser Zusammenhänge besser.

Als Regel kann man sagen, dass sinnlicher Genuss und sinnliche Lust sowie Ärger, Zorn, Wut die größten Feinde der aufmerksamen Betrachtung sind. Das ist eine Tatsache, die die Handwerksmeister, welche Lehrlinge ausbilden, ebenso gut kennen wie die Pädagogen oder die Religionsgründer. Das Gleichnis vom Sämann, dessen Samen unter die Dornen fällt, ist ein Hinweis auf diese Gefahr. Die erste Voraussetzung für das aufmerksame Betrachten ist also der Wille zur Wahrheit über die Existenz der Zusammenhänge. Wo dieser Wille stark genug ist, da wird er die Mittel und Wege schaffen, die zu aufmerksamer Betrachtung der Vorgänge bei einem selbst verhelfen. Man wird mehr und mehr die Stille aufsuchen, sich besinnen und sich betrachten und beobachten. Von da erobert man sich nach und nach das innere Gebiet ebenso gründlich, wie man sich im Säuglingsalter das äußere Gebiet erobert hatte.

Es geht also darum, sich wieder und wieder die richtige Anschauung klar und deutlich vor Augen zu führen und die dementsprechenden Gedanken zu summieren, zu multiplizieren und zu potenzieren. Diese wiederholte Betrachtung, dieses wiederholte Bedenken, das wir "Meditieren" nennen, un das bei diesem Betrachten vor sich gehende Aufleuchten und Einleuchten der positiven oder negativen Seiten sind jenes positiv oder negativ bewertende Denken, das als einziges die Triebe verändern kann.

Der Erwachte vergleicht die Minderung von Tendenzen durch häufiges entsprechendes Bedenken mit dem allmählichen Verschleiß eines Beilstiels durch tägliches Benutzen über längere Zeit. Der Erwachte sagt, dass der Handwerker am Abend nicht sagen könne, wie viel von dem Beilstiel abgeschlissen sei, aber auf jeden Fall sei der Beilstiel bei täglicher Benutzung in absehbarer Zeit völlig abgenutzt.

Ein anderes Bild vom Erwachten zeigt denselben Zusammenhang, nämlich das Gleichnis vom Floß (Majjhima Nikaya 22). Wir betrachten es meistens unter dem Blickwinkel der Empfehlung des Erwachten, dass die Lehre zum Loslassen, nicht zum Festhalten da ist: Wenn man mit dem Floß an das heile Ufer hinübergefahren ist, dann soll man es nicht noch lange mit sich herumschleppen. Aber das Gleichnis hat noch eine andere Bedeutung: Das tragfähige Floß ist die rechte Anschauung. Wenn man das tragfähige Floß fertiggestellt hat, dann legt man sich darauf und überquert mit Händen und Füßen rudernd den Strom, um zum heilen Ufer zu gelangen. Der Strom ist der Samsara, der Daseinskreislauf, das Rudern das Vorwärtsgehen auf dem Achtpfad. Zum Floßbau nimmt man Baumstämme, Äste, Reisig, Zweige und dann Lianen, mit denen man das Ganze verbindet. Erst dann, wenn man meint oder erprobt hat, dass das Floß jetzt tragfähig ist, dann erst fährt man los. Das ist ja der Zweck, zu dem man das Floß baut.

So ist es auch mit uns: Irgendwann begegnet man der Lehre, hört immer mehr davon. Allmählich baut sich ein ganz anderes Daseinsbild auf, daraus ergeben sich nach und nach Konsequenzen für unser Tun. Da die rechte Anschauung ja gerade darin besteht, dass man den leidigen Charakter des diesseitigen Ufers - unsere Existenz - erkennt, so zwingt die rechte Anschauung, wenn sie ziemlich vollständig, also "tragfähig" geworden ist, uns zu den entsprechenden befreienden Taten. Immer mehr durchsetzt die rechte Anschauung den Alltag. Man merkt: mit solchen Gedanken, solchem Tun mehre ich das Schlechte in mir; bedenke ich aber das Entgegengesetzte, mindere ich es. Das ist der große Prozess des Durchforstens und Lichtens unseres gesamten bisherigen Denkgestrüpps und des Anordnens und Verbindens von allen brauchbaren Hölzern zu einem tragfähigen Floß - Gleichnis für die rechte Anschauung.

Das ist erwägende Meditation.

Aus der rechten Anschauung ergibt sich zwar ganz von selber allmählich mehr und mehr auch die rechte Geisteshaltung.

Diese Entwicklung des allmählichen Durchsetztwerdens des Geistes, des Bewusstseins von der rechten Anschauung können wir intensivieren durch bewusste Pflege der rechten Anschauung, und darum begegnen wir dem Wunsch nach Meditationsanleitung auch in der gesamten buddhistischen Tradition. Manche Mönche und Nonnen haben sich an den Erwachten gewandt: Möge mir doch der Erhabene eine ganz persönliche Anweisung geben, was ich jetzt üben soll, damit ich dann einsam, abgesondert, abgeschieden gründlich darüber nachdenke und zum Heil komme. Laut Majjhima Nikaya 145 gibt der Erwachte dem Frager Punno eine ihn befriedigende Auskunft. Aber es kommt auch vor, dass der Erwachte auf solche Bitte dann sagt: Ach, wolle man doch nicht immer mit solchem Wunsch zu mir kommen. Ich habe euch doch die Lehre so vielfältig gezeigt, dass ihr euch zu helfen wissen müsstet. Zu der Zeit, als der Orden äußerlich an Ansehen gewonnen hatte, als die Besten schon das Nibbana gewonnen hatten oder auf dem Wege dahin waren, da traten auch Mittelmäßige und Schwächere in den Orden ein, die weit mehr mit der Welt verflochten waren und weit weniger leuchtend die Lehre im Geist hatten. Mit ihrer Bitte um persönliche Anleitung wollten sie es etwas bequemer haben; sie fühlten sich durch ein persönliches, anspornendes Wort mehr angesprochen. Der Erwachte hat auch jenen selten eine Meditationsanleitung verweigert, aber er hat sie manchmal durch eine erstmalige scheinbare Abweisung noch aufmerksamer gemacht. Die Besseren wurden sich dann bewusst, dass sie eigentlich auch selber wüssten, worüber sie nachdenken sollten, und sie gingen dann mit dem vom Erwachten Gehörten ernsthafter und ausdauernder um.

Auch wir Heutigen, die wir den Erwachten nicht mehr bei uns haben, finden in den Lehrreden mehr unauffällig - zum Teil aber auch deutlich - eine ganze Menge Meditationsanleitungen.