Der Buddhismus in Nordamerika.

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In den Vereinigten Staaten von Amerika hat sich der Buddhismus in ganz anderer Weise als in Europa entwickelt. Die ersten Buddhisten kamen als Einwanderer aus Ostasien dorthin. Einige chinesische und japanische Buddhisten gelangten schon vor 1868 in die Vereinigten Staaten und nach Hawaii (das 1898 formal annektiert wurde), aber erst mit der Zunahme der Einwanderung nach 1868 wurde sie zu einem Faktor von nennenswerter Bedeutung. Die Organisatoren der Einwanderung hatten gehofft, dass die als billige Arbeitskräfte ins Land geholten Chinesen und Japaner in Hawaii schnell assimiliert werden könnten. Diese Erwartungen erfüllten sich jedoch nicht; vor allem waren die Einwanderer nicht dazu bereit, zum Christentum überzutreten. 1899 wurde die Organisation der "Buddhistischen Kirche" von Hawaii gegründet, und Yemyo Imamura wurde erster Bischof dieser Mission in Hawaii. Wie in Hawaii, so gewann auch unter den japanischen Einwanderern auf dem Festland die buddhistische Schulrichtung Jodo Shinshu großen Einfluss.

Der amerikanische Oberst H.S. Olcott erwarb sich besondere Verdienste um den Buddhismus. Er hatte 1875 zusammen mit Madame Blavatsky in New York die Theosophische Gesellschaft gegründet. In Ceylon nahmen die beiden 1880 die drei Zufluchten und bekannten sich offiziell zum Buddhismus. 1881 veröffentlichte Olcott - natürlich auf Englisch - seinen Buddhist Catechism (Buddhistischer Katechismus). Dieses Buch war ein Versuch, die Grundsätze zu formulieren, die seiner Ansicht nach alle Buddhisten der Welt beherzigen konnten und sollten. Dieses Dokument vertritt allerdings eher theosophischen als buddhistischen Glauben. Olcott entwarf auch eine buddhistische Flagge, die später vom Weltverband der Buddhisten übernommen wurde und bis heute verwendet wird. Sie ist aus den fünf Farben des Buddha-Heiligenscheins zusammengesetzt. Auch das Singen von Liedern zum Wesak-Fest wurde von ihm eingeführt, eine Art Reaktion auf christliche Weihnachtslieder. Die Parallele mit Weihnachten zeigt sich auch in dem heute florierenden Geschäft mit Wesak-Karten.

Besonders verdient um die Kenntnis des Buddhismus in den Vereinigten Staaten machte sich auch der Deutschamerikaner Dr. Paul Carus, der u.a. sein Buch "Das Evangelium des Buddha" im Jahre 1894 herausbrachte. Er war 1852 im Harz in Deutschland geboren und 1883 nach Amerika emigriert. Im Vorwort seines Buches schrieb er: „Der Buddhismus ist gleich dem Christenthum in unzählige Sekten zersplittert, und die Sekten hängen häufig an ihren sektiererischen Sätzen, als wären diese die hauptsächlichsten und unentbehrlichsten Bestandtheile ihrer Religion. Das vorliegende Buch hält sich an keine der sektiererischen Lehren, sondern nimmt eine ideale Stellung ein, auf welche, als auf einem gemeinschaftlichen Boden, alle wahren Buddhisten zu stehen vermögen.

Über die ethnischen Grenzen der Einwanderer und ihrer Nachkommen hinaus wurde der Buddhismus im Jahre 1893 bekannt, als anlässlich der Weltausstellung in Chicago das Weltparlament der Religionen tagte, in dem Anagarika Dharmapala und der Rinzai-Zen-Meister Soen Shaku sprachen. Das "Parlament" fand in der Presse Chicagos große Aufmerksamkeit, knüpfte andauernde Verbindungen zwischen Intellektuellen überall in Amerika und löste eine religiöse Diskussion aus, die ganz Nordamerika erfasste. Shaku Soen und andere reisten im Anschluss an das Parlament durch die USA, initiierten Amerikaner in den Buddhismus und gründeten erste buddhistische Gemeinschaften.

Soen Shaku lud später seinen Schüler Daisetz Teitaro Suzuki ein und der trug wesentlich zur Verbreitung des Zen-Buddhismus in Amerika bei.

Der Buddhismus in Amerika ist aus wenigstens drei Gründen einer spürbaren "Amerikanisierung" ausgesetzt: erstens wegen der Verbindung zu den Protestbewegungen der sechziger Jahre, zweitens wegen der Entwicklung an den Universitäten und drittens wegen der verstärkten Einwanderung von Buddhisten aus Asien.

In den Vereinigten Staaten bildeten sich zahlreiche buddhistische Gruppen, und manche haben eine längere Geschichte. Die amerikanischen Buddhisten haben keine Versuche gemacht, eine gemeinsame Organisation zu bilden; der Buddhismus in den USA war stets durch ein großes Maß an Individualismus, Pluralismus und Dezentralisierung charakterisiert. Folglich ist das Bild des Buddhismus außerordentlich vielschichtig.

Das Soto-Zen kam erst nach dem Zweiten Weltkrieg nach Amerika, und zwar durch drei Studenten des berühmten Zen-Meisters Harada Sogaku (1870-1961). Der Tibetische Buddhismus ist neben dem Zen-Buddhismus die zweite große buddhistische Tradition, die sich in Amerika institutionalisieren und über das ganze Land verbreiten konnte. Geshe Wangyal, ein kalmückischer Mongole der Gelug-Schule, kam bereits 1955 nach New Jersey. Er gründete mit Unterstützung des 14. Dalai Lama das erste tibetisch-buddhistische Kloster in Amerika, das auch Amerikanern offensteht. Robert Thurman (der erste vom Dalai Lama ordinierte Amerikaner) und Jeffrey Hopkins studierten hier.

1974 gründete Chögyam Trungpa Rinpoche (1939-1987) in Boulder, Colorado das Naropa Institut, Grundlage für die einzige staatlich anerkannte Universität auf der Grundlage buddhistischer Prinzipien, und begann ab 1976 sein Shambhala Training zu vermitteln. Joseph Goldstein und Jack Kornfield trafen als junge Meditationslehrer hier ein und begannen mit ihrer erfolgreichen Lehrtätigkeit. Jack Kornfield wurde durch seine Buchveröffentlichungen weltbekannt, in welchen er eine Verbindung von buddhistischer Lehre und westlicher Psychotherapie entwickelte.

Es gibt verschiedene Gruppen von Theravada-Buddhisten und Klöster dieser Tradition mit Mönchen aus Sri Lanka, aus Thailand und solchen amerikanischer Herkunft, sowie eine Anzahl von Zentren für Satipatthana-Meditation. Ein einflussreicher Meister wurde der singhalesische Bhikkhu Henelopa Gunaratana, Mitbegründer der Bhavana Society. Englische Bhikkhus, die Nordamerika für Kongresse besuchten oder sich in Eremitagen zurückzogen, trugen das ihre dazu bei, die Philosophie und Praxis des Theravada in Nordamerika zu entwickeln.

Letztlich gibt es heute ein puzzleartiges Netz von buddhistischen Zentren unterschiedlichster Traditionen, mit oder ohne Anbindung an traditionelle asiatisch-buddhistische Linien, das ganz Nordamerika überzieht, und neben diesem Netz existieren die asiatisch-buddhistischen Tempel der chinesischen, koreanischen, japanischen und vietnamesischen Immigranten, für die ihre buddhistische Beheimatung eine sozial-kulturelle Identitätsbestimmung ist. Neben Akademikern, die sich intensiv mit Texten der Geschichte des Buddhismus befassen, gibt es Menschen, die in der Zurückgezogenheit der Berge in kleinen buddhistischen Gemeinschaften ein alternatives Leben führen. Buddhistische Gruppen haben Land erworben und betätigen sich als Farmer. Und in allen größeren Städten sind buddhistische Zentren entstanden.