Das Ende des Buddhismus in Indien.

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Um die Mitte des ersten Jahrtausends entfaltete sich eine neue geistige Bewegung in Indien, von der auch der Buddhismus nicht unberührt blieb, der s. g. Tantrismus. Dadurch kam eine Art okkulter Buddhismus auf. Im Laufe einiger Jahrhunderte breitete sich das Tantrayana über ganz Nordindien aus. Die Tantras waren meist Geheimlehren und die Anhänger wurden durch ein besonderes Ritual in die Gemeinschaft der Wissenden initiiert. Es ist ein System größtenteils esoterischer Lehren, das, wesentlich ritualistischen Charakters, mit Hilfe besonderer Zeremonien und sakraler - teilweise magischer und orgiastischer - Akte supranormale Wirkungen erzielen und durch Überwindung der niederen Triebe einen Kontakt mit dem Transzendenten gewinnen will, und zu diesem Zweck alte Vorstellungen, Praktiken und Philosophien revidiert, vereint und dadurch wirkungsvoller zu machen beabsichtigt. Hauptmerkmale des Tantrismus waren also einerseits die Entfaltung des Rituals, andererseits die Ausgestaltung der Lehre von der magischen Kraft des heiligen Wortes.

Das war nun nicht neu in der indischen Religionsgeschichte. Im brahmanischen Bereich, wo mit großer Wahrscheinlichkeit die ersten Anfänge des Tantrismus zu lokalisieren sind, sind Ansätze dazu schon in der spätvedischen Überlieferung greifbar. Aus dem Zusammenspiel von Geist, Körper (mudras) und Sprache (mantras) wurden reichhaltige Rituale gemacht, die bald den dahinterliegenden, eigentlichen Sinngehalt verdeckten.

Das letzte der großen Systeme des indischen Spätbuddhismus, das Kalacakra (Zeitrad), das um 1000 n. Chr. in Bengalen entstand und stark von astrologischen Vorstellungen geprägt wurde, vertrat auch die Lehre des Adibuddha (Ur-Buddha), aus dem alle anderen Buddhas usw. ja letztendlich die ganze Welt hervorgegangen ist. So ist der tantrische Buddhismus im Laufe der Entwicklung schließlich bis zu einer dem christlichen und islamischen Gottesbegriff recht nahestehenden Glaubensvorstellung gelangt.

Während im Süden Indiens der Hinduismus stark wiederbelebt wurde, existierten in Nordindien noch um 1000 n. Chr. zahlreiche buddhistische Klöster und Tempel. Sie wurden Opfer der Zerstörung durch muslimische Eroberer, die im 11. und 12. Jahrhundert die nordindischen Ebenen überrannten. Die buddhistische Kultur Indiens ging durch diesen Ansturm restlos zugrunde. Das reiche Erbe an literarischen und künstlerischen Überlieferungen des Buddhismus wurde ein Opfer der Zerstörungswut muslimischer Eroberer. Schon im 8. Jahrhundert drangen arabische Eroberer in Sindh ein, aber erst die türkischen Eroberer des 11. und 12. Jahrhunderts vermochten die nordindische Ebene zu überrennen. Sie zerstörten alle Tempel, Klöster und Bibliotheken, die sie antrafen, und die islamischen Geschichtsquellen selbst berichten uns mit Stolz, mit welcher Gründlichkeit die indische Kultur, die Heiligtümer der "heidnischen" Religionen zur höheren Ehre Gottes und des Islam vernichtet wurden. Islam oder Tod - hieß die Alternative für die Bewohner der eroberten Ebene. Und es gab Millionen von Toten.

Die buddhistische Kultur Indiens wurde durch diesen Ansturm restlos vernichtet. Die letzte der großen Klosterschulen, Vikramasila, wurde 1207 zerstört. Man tat es so gründlich, dass man sogar den Grundstein ausgrub und im Ganges versenkte. Keine Spur verrät uns heute, wo Vikramasila gelegen war. Der Hinduismus konnte nicht so wirksam unterdrückt werden. Seine Überlieferungen lebten vermehrt in den Familien- und Kastenverbänden weiter. Noch viel wichtiger für das Überleben des Hinduismus waren seine kriegerischen Traditionen, welche den Buddhisten fehlte.

Man muss dabei folgendes bedenken:

Während der Theravada nur noch auf Ceylon bestand, wurde der Mahayana-Buddhismus in Indien durch Feuer und Schwert des Islam zerstört. Aber dies wäre nie möglich gewesen, wenn er nicht schon innerlich hohl gewesen wäre, so dass er wie ein Kartenhaus zusammenbrach. Diese Aushöhlung und Selbstzerstörung erfolgte in der Periode des Tantra. Hier ist im Zusammenhang folgendes zu sagen: Die bedeutende Schule der Yogacarins des Mahayana hatte sich bald auf formale Logik und auf Erkenntniskritik verengt. Scharfsinnige akademische Werke dienten an den Mönchsuniversitäten als Lehrstoff und ermöglichten geistiges Florettfechten, Debattierkunst und Redestreit. Das war aber im Grunde wenig anderes als die Scholastik des Abhidhamma, gegen dessen Trockenheit einst das Mahayana angetreten war. So führte das Mahayana nach einigen Jahrhunderten des Aufbruchs sich schließlich selbst ad absurdum.

Die äußere Gewalt der Moslems oder die innere Aushöhlung durch das Tantra hätten aber kaum genügt, dem Buddhismus Indiens den Todesstoß zu versetzen, wenn nicht noch ein zusätzlicher Faktor hinzu gekommen wäre. Und das war die brahmanische Gegenreform.

Im 8. Jahrhundert etwa trat in Indien Shankara auf, der bedeutendste Philosoph des Hinduismus. Er gründete einen straffen Mönchsorden, und er gab vor allem eine mystische Lehre, wonach Ich (Atman) und Gott (Brahman) identisch sind, wenn die Täuschung (maya) durch Weisheit beseitigt wird. Man hat diese Lehre "Buddhismus in Verhüllung" genannt - das ist vertretbar, wenn man unter Buddhismus nicht die ursprüngliche Lehre des Buddha versteht, sondern die Bewusstseinsphilosophie des Yogacara, die eine ewige Substanz annahm, wenn das Bewusstsein geläutert ist. Da die Inder bei Shankara eine Mystik vorfanden, die an die Veden und Upanishaden anknüpfte und ohne die Phantastik der Mahayana-Sutren als Meditationslehre vorgetrgen wurde, bestand kein Grund mehr, aus der wirren Vielfalt des Mahayana-Buddhismus den Wahrheitskern herauszufiltrieren und dort die Spreu vom Weizen zu trennen, wenn man schon im "eigenen Hause" das Ersehnte besaß. Die All-Einheits-Lehre des Advaita-Vedanta befriedigte alle metaphysischen Bedürfnisse der Inder. Das aber zeigte sich besonders, als der Buddhismus im Tantra immer mehr entartete.

Der hinduistische Tantra war ein Aufstand der groben Sinnlichkeit. Der rechte Tantrismus verfeinerte die Sinnlichkeit und nahm die sinnlichen Götter zum Vorbild, die man anbetete oder rituell ansprach. Der linke Tantrismus war Erotik mit religiöser Verbrämung, d.h. die Auflösung des Religiösen in Sensualismus.

Nachdem die Edleren im Advaita-Vedanta und seinem Mönchtum ihre mystischen Sehnsüchte erfüllt sahen und nachdem die Niederen im Tantrismus ihre sinnlichen Sehnsüchte befriedigen konnten, war für Buddhismus kein Bedarf mehr, und so verschwand der Buddhismus im Brahmaismus, der jetzt Hinduismus genannt wurde ("Schrittweise wurde der Buddhismus hinduisiert" in L. Joshi, Studies in the Buddhist Culture of India, Dehli 1967).

Der Mahayana-Buddhismus Indiens war aber inzwischen nach China gelangt - er erhielt sich dort als Zen-Buddhismus - und nach Tibet, wo er als Vajrayana-Buddhismus bekannt wurde.

Dennoch: Heute wie damals ist Indien für die Buddhisten aller Welt das heilige Land. Auf indischem Boden liegen die Stätten der Erwachung, der ersten Predigt und des Parinirvana des Buddha, in indischen Sprachen sind die ursprünglichen Texte verfasst, nach Indien führen alle realen und geistigen buddhistischen Reisen.

Wenn man in Bodh Gaya andächtigen, ceylonesischen, tibetischen und europäischen Pilgern, in Sarnath Pilgern aus Thailand und Amerika, am Geiergipfel von Rajagraha frommen Reisenden aus Japan begegnet, dann gewinnt man eine Ahnung davon, was die Lehre des Buddha vielen Millionen Menschen in der Welt als Trost, Lebenshilfe und Hoffnungsbote bedeutet.

 

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